: Einsicht oder Umweltpolizei?
■ Tagung über die umkämpfte Zukunft des Wattenmeers
Der eine kann nicht schlafen in der Nacht, hat er ans Wattenmeer gedacht. Der andere sieht es ruhiger. Beide sorgen sich um das Naturerbe in einer expansiven Wirtschaftsgesellschaft. Europaweit. Mit unterschiedlichem Temperament. Der Gleichklang im Ziel und die Dissonanzen auf dem Weg dahin werden dem 12. Internationalen Wattenmeertag vom 9. bis zum 12. September in Wilhelmshaven einen Stempel aufdrücken.
Beherrschendes Thema wird nach dem Willen der Hauptveranstalter — WWF (World wide Fund for Nature), Naturschutzakademie Schneverdingen und die Föderation der Natur-und Nationalparke Europas im bayrischen Grafenau — die Idee des „deutschen Rangers“ sein. Die aus Reportagen und Filmen bekannte Figur des Umweltbewachers mit Pfadfinderimage und Polizeigewalt soll künftig auch deutsche Naturreservate wie das Wattenmeer und andere Nationalparks gegen absichtliche, leichtfertige oder unwissende Störer schützen, fordern die Naturschutzverbände. Vorbilder sehen sie beispielsweise in den USA und in Teilen Afrikas.
Gegner lehnen hauptamtliche Umwelt-Polizisten aus pädagogischen Überlegungen ab. Einsicht statt Zwang ist ihre Idee. Auch die unvermeidlichen Aufwendungen für den Steuerzahler spielen eine Rolle. Wie in der Drogen-Diskussion spalten sich auch im Umweltschutz die Linien. Die einen, darunter der beim Wattenmeertag federführende Umweltverband WWF suchen nach politisch durchsetzbaren Lösungen. Dazu zählen aus seiner Sicht auch „vertretbare“ Kompromisse. Sie erwecken stets den Verdacht der Aufgabe von Prinzipien.
Andere setzen im Konzert der Umweltverteidiger auf scheinbar kompromißlose Töne. Sie halten fast jede zusätzliche wirtschaftliche Nutzung und die zwangsläufig damit verbundene Störung von Wattenmeer, Deichen und Dünen für umweltunfreundlich. WWF und gleichgestimmte Partner versuchen nach den Worten des deutschen WWF-Sprechers Holger Wesemüller bei einer zwangsläufigen „Güterabwägung“ einen „rechtsstaatlichen und für die Umwelt optimalen Weg“ zu finden. Ohne die Verleugnung oder die „Preisgabe von Prinzipien und die Überschreitung von Schmerzgrenzen“.
Der seit Jahren andauernde Streit um eine umweltverträgliche Trasse für die Erdgasfernleitung „Europipe“ sowie um die Vertiefung der Ems für den erfolgreichen Schiffbauer Meyer in Papenburg mit 1.800 Arbeitsplätzen machen den zentralen Interessenkonflikt deutlich. WWF besteht dabei auf parteipolitischer Neutralität. „Das Wattenmeer muß geschützt werden, egal ob in der Palette Schwarz, Gelb oder Rot die demokratisch gewählte politische Farbe ist“, meint WWF-Sprecher Wesemüller.
“Bäume und Wattwürmer leben länger als Wahlperioden“.
Als –erstaunlich stabil“ trotz aller Belastungen bezeichneten jüngst Biologen das in der Welt einzigartige Biotop Wattenmeer. Die von einer solchen Information möglicherweise ausgehende Beruhigung für abfallproduzierende Unternehmen und Menschen stößt bei den Naturschützern naturgemäß auf Widerstand. Botschaften dieser Art erinnern die Wattenmeer-Kämpfer an das Bild von der halbvollen und der halbleeren Flasche. Für sie hat das Vorsichtsprinzip Vorrang. Sie kämpfen um die Verringerung des Pegels.
Industrie und Gewerbetreibende verweisen auf ihren Beitrag zum gesetzlich geregelten Umweltschutz. Sie haben dabei je nach Kalkül langfristige Erfolge oder die „schnelle Mark“ im Auge. Die Mehrzahl der Umweltverbände wünscht sich langfristig kalkulierende Unternehmer und einen verständigen Gesetzgeber. Sie setzen dabei nach den Worten von Wesemüller unter anderem auf Einsicht und auf das Ziel, Investitionen langfristig gut anzulegen. Mit umweltschädlichen Produkten und Produktionsweisen zerstörten Hersteller am Ende auch ihre Märkte.
dpa
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