: Offenbarungseid - und keiner merkt es
■ Die Bundesrepublik steht mit ihrer Klimapolitik vor einem Debakel
Offenbarungseid — und keiner merkt es Die Bundesrepublik steht mit ihrer Klimapolitik vor einem Debakel
Fast nebenbei hat Umweltminister Klaus Töpfer diese Woche eingeräumt, daß die fest versprochene Reduktion des Klimakillers CO2 von 25-30 Prozent bis zum Jahr 2005 nicht zu schaffen ist. Am Tag vor Töpfers Eingeständnis hatte bereits die deutsche Stromwirtschaft dasselbe erklärt. Allenfalls zwölf Prozent CO2-Einsparung könnten die Energiekonzerne bei der Stromerzeugung erreichen und auch dies nur unter „besonders günstigen Bedingungen“. Auf deutsch: Selbst die zwölf Prozent sind nicht zu schaffen. Der für die Klimapolitik wichtigste Industriezweig leistet damit seinen Offenbarungseid. Und keiner merkt es. Am Ende des heißesten Sommers dieses Jahrhunderts haben wir offenbar andere Sorgen.
Doch der Erdgipfel von Rio ist noch in guter Erinnerung. Der selbsternannte ökologische Vorreiter Deutschland hat sich dort an die Spitze der umweltbewußten Länder gesetzt und kräftig auf die Klimapauke gehauen. George Bush wurde gegeißelt, und Minister Töpfer verlangte — Schulter an Schulter mit den Regenbogen-Kämpfern von Greenpeace — strengere und verbindlichere Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe. Jetzt darf man feststellen, daß der umweltpolitische Musterschüler seinen Matrosenanzug kräftig versaut und die Hausaufgaben nicht erledigt hat. Anstatt die kurz vor der letzten Bundestagswahl per Selbstverpflichtung angekündigte CO2-Einsparung zu verwirklichen, gehen die Emissionszahlen ungebremst nach oben — vor allem im Verkehr. Business as usual statt ökologischem Umbau. Würde
jedes Land dieser Erde auch nur die Hälfte der
Kohlendioxid-Emissionen hierzulande in die
Atmosphäre blasen, wäre der Klima-Kollaps ge-
wiß.
Größere Empörung angesichts der Klima-Geständnisse von Töpfer und den Stromkonzernen ist bisher nicht zu vermelden. Viele haben die CO2- Selbstverpflichtung der Bundesrepublik offenbar schon lange als PR-Aktion abgehakt. Doch Fatalismus hilft nicht weiter. Die Klima-Enquete-Kommission hat in der Bundesrepublik eine großartige und weltweit einmalige klimapolitische Vorarbeit geleistet. Nicht nur die düsteren Fakten, auch die Handlungsanleitung zum Überleben liegen auf dem Tisch. Wenn diese Arbeit nicht umsonst gewesen sein soll, wenn die Mitglieder dieser Enquete- Kommission ihren eigenen schockierenden Report auch nur zur Hälfte ernst nehmen, dann müssen sie jetzt auf die Barrikaden steigen und dieser Bundesregierung Dampf machen. Deutschland als reichstes europäisches Land und als weltweit fünftgrößter Klimakiller darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
Jetzt muß sich zeigen, ob die Klimaenquete nur ein Alibi für Kohl war oder ein politischer Faktor, der vielleicht sogar eine parteiübergreifende Klima-Koalition anstiften könnte. Manfred Kriener
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen