Wenn Pferde loslassen

■ Deutschlands größte Zucht-Veranstaltung am Wochenende in Verden

„Primäre Bedeutung hat die sofortige willige Reaktion. Durchs Genick mit ständiger Unzufriedenheit ist schlechter als nicht am Zügel aber an den Hilfen. Angestrebt wird ein willig-flüssiges, aufmerksames Überwinden der Hindernisse mit hergegebenem Rücken und der Hindernishöhe entsprechendem Aufwand.“

So ist das beim Bundeschampionat. Laut Programmheft müssen die Pferde nämlich nicht nur über Stangenwälder springen, sondern dies auch noch ganz entspannt im Hier und Jetzt tun. Und das unter ständiger Kontrolle von melonentragenden Richtern.

Jede Menge ZuschauerInnen hatten am Wochenende tatkräftig mitgeholfen, Verdens Straßen mit Nobelkarossen zu verstopfen. Soweit sie unkundig waren, blieben sie aufgeschmissen. Denn fällt bei Deutschlands größter Zuchtveranstaltung eine Stange, muß das nicht sofort das Aus bedeuten. „Losgelasenheit“ ist eher die Devise. Und wer sieht schon, wann ein Pferd „losläßt“?

Am Start waren beileibe nicht barr- und elektroschockerprobte Gäule, sondern drei- bis sechsjährige Greenhorns, die „Hoffnungen für Atlanta“, wie die TV-Werbung verhieß.

In den Disziplinen Dressur, Springen, Military und Einspännerfahren stiegen allerdinges keine Nobodys in den Sattel oder auf den Kuschbock. Die gesamte Reitelite von Spring-Spezi Franke Sloothaak bis zur Dressur-Elfe Isabell Werth hatte sich in dem Reiterstädtchen eingefunden.

Was hat das alles mit Zucht zu tun? „Mann, is der dahergeschlufft. Krichte einfach die Füße nich hoch“, schnaubte da ein seppelhuttragender Züchter. Und „Krichte die Füße nich hoch“ hieß soviel wie „Bring deine Stute bloß nicht zu dem Vater von dem Pferd.“ Andere Vierbeiner jedoch, die nicht schlufften, haben bereits den Besitzer gewechselt. Und ihre Väter werden in den kommenden Wochen mit Zeugungsstreß zu rechnen haben.

Aber nicht nur für die lodenbemantelten oder wachsbejackten Züchter gab es am Wochenende viel zu Schachern. Ihr sonnenstudioverbrannten Gattinnen konnten auf dem Verdener Riesengelände so richtig einkaufen gehen. Da gab es beispielsweise Regenschirme mit integriertem Sitz im Pferdekopfdesign oder straßbesetzte „I-love-horses“-Broschen für nur 47 Mark. Sollte es aber ein güldenes Collier sein mit Reitstiefelanhänger, mußte eine vierstellige Summe auf den Tisch geblättert werden.

Die Szene präsentierte sich in den aktuellen Matschfarben. Und alle werden sich im nächsten Jahr in Mannheim wiedertreffen und ausrufen: „Ach, ist ja richtig nett hier!“

Anja Philipp