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FDP-Vorsitzende bestand »Testfall«

■ Trotz massiver Kritik im Vorfeld setzte sich Carola von Braun mit ihrer sozialliberalen Position auf dem FDP-Parteitag durch/ Sonderparteitag zur Verkehrspolitik/ Grundsatzfragen auf Bundesebene

Berlin. Wie es wohl komme, sinnierte Martin Bangemann, daß die halbe Welt liberal werde, nur die Liberalen haben nichts davon? Der FDP-Politiker und stellvertretende Präsident der EG-Kommission traf mit dieser rhetorischen Frage zum Schluß seines Grußwortes die Stimmung der Berliner Liberalen, die am Samstag zu ihrem Landesparteitag zusammenkamen. Eine Antwort wurde dort nicht gefunden. Sie hätte auch mit Sicherheit Streit unter den 336 Delegierten bedeutet, denn in der FDP ist, wie in kaum einer anderen Partei, das Spektrum der Antworten auf die Zukunftsfragen breit gefächert. Einig sind sich die Liberalen lediglich darin, daß der Status quo nicht aufrechterhalten werden kann. Er wisse nicht, klagte der Exponent des rechten Parteiflügels, der Spandauer Bezirksvorsitzende Wolfgang Mleczkowski, weshalb es die FDP noch gibt. Und auch seine Kontrahentin vom linken Flügel, die Landesvorsitzende Carola von Braun, sprach von »Fehlern, aus denen wir lernen müssen, wenn wir in Zukunft noch politische Verantwortung tragen wollen«.

Was die Partei da lernen muß, trug die Vorsitzende in einem langen Grundsatzreferat vor. Die FDP, so ihre Diagnose, wird nicht mehr als gesamtdeutsche Partei angesehen; wenn es nicht gelinge, die Menschen in den östlichen Bundesländern zurückzugewinnen, dann werden die Liberalen »keine Rolle mehr spielen«. Die Probleme des Ostens, so ihre Therapie, werden nur dann lösbar sein, wenn in Besitzstände eingegriffen werde. Diese Einschnitte müssen sozial verträglich gestaltet werden, »nicht gegen die Gewerkschaften, sondern im Ringen mit ihnen«. An diesem Punkt muß sich nach von Brauns Einschätzung die Position, die die FDP in den achtziger Jahren eingenommen hat, gewaltig ändern.

Diese Grundpositionen der Rede von Brauns widersprechen der bisherigen Politik der Bundespartei. Gemeinsam mit einer Reihe sozialliberaler FDP-Politiker hatte sie diese Gedanken bereits in einer Denkschrift formuliert — zum Ärger des Bundesvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff. Die Kontroverse soll auf dem kommenden Bundesparteitag der Liberalen im Oktober ausgetragen werden. Den Landesparteitag wertete von Braun gegenüber der taz als »Testfall«. Nimmt man den Applaus zur Elle, den sie nach ihrer Rede erhalten hat, so scheint der Test bestanden. Auch in der Aussprache wurde nur geringe Kritik an der Linie der Vorsitzenden laut, eher monierten einige Delegierte, daß sie in den Formulierungsprozeß der Denkschrift nicht eingebunden wurden. Das wollte von Braun auch nicht, sie hatte »Verwässerung« befürchtet.

Daß der Widerspruch gegen die Vorsitzende so lau ausfiel, verwunderte manchen Delegierten angesichts der massiven Attacken, denen sich von Braun in den Wochen vor dem Parteitag wegen ihrer »Führungsschwäche« und ihrem hohen Gehalt als Fraktionsvorsitzende ausgesetzt sah. Die Landesvorsitzende weiß, daß liberale Parteitage »für Spontaneität bekannt« sind, deshalb hatte sie vor einer Woche selbst ihr 200.000-Mark-Jahressalär erheblich reduziert und damit den parteiinternen Kritikern den Wind aus dem Segel genommen. Zudem durften die Rechten um den stellvertretenden Landesvorsitzenden Günter Rexrodt für den Parteitag den Leitantrag zu »Berlin im Wettbewerb der europäischen Regionen« verfassen, ein Thema, das zwar ideologieträchtig, aber von wenig praktischer Bedeutung ist. Strittige Positionen zur Landespolitik, etwa im Verkehrsbereich, wurden am Samstag außen vor gelassen. Sie werden, so wurde am späten Samstag abend auf Druck einiger Delegierter entschieden, nun auf einem eigens einzuberufenden Sonderparteitag Ende Oktober behandelt. Dank dieser geschickten Parteitagsstrategie konnte die Landesvorsitzende nicht nur eine wochenlange Krise, die sich um ihre Person rankte, ohne sichtbare Blessuren beenden, sondern sich auch eine gute Ausgangsposition für den kommenden Bundesparteitag verschaffen. Dieter Rulff

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