: Heute hui — morgen pfui
■ Gebäuderreinigung von morgen: umweltschonend
„Diese Wand gehört uns“, bekundeten noch vor kurzem Graffiti- Sprayer an der Weserufermauer am Martini-Anleger. Kaum anzuzweifeln war dies bisher, angesichts der zahlreichen Lacksprüche und Parolen aus der Dose. Doch seit gestern hat sich Entscheidendes geändert.
Das „städtebaulich und touristisch bedeutende Wesersandstein-Bauwerk“ befindet sich fest in den Händen eines ungewöhnlichen Reinigungstrupps. Unter dem Motto „umweltschonende Fassadenreinigung“ zeigen 18 Auszubildende des Bauhandwerks, daß es auch ohne Chemie geht. Wo ansonsten hochätzende Stoffe wie Salzsäure oder Kalilauge den Graffitis zu Leibe rückten, greifen die angehenden GebäudereinigerInnen jetzt zu Glaspudermehl und Wasser. Mittels einer neuen Rotations-Spritztechnik können fünf Quadratmeter Wand in der Stunde gesäubert werden, ohne den Untergrund zu beschädigen.
Die farbigen Parolen landen im Bremer Abwasser, der sogenannten „Schmutzflotte“, die bei dieser Methode besonders gering bleibt.
Noch ist offen, ob die neue Technik sich bei den Reinigungsfirmen gegenüber dem chemischen Verfahren überhaupt durchsetzen kann. Zwar sind die Initiatoren des Modellprojekts ( Berufsschul-LehrerInnen des Schulzentrums an der Alwin- Lonke-Straße, die Landesinnung Bremen und die Bremer Universität) von ihrem neuen umweltfreundlichen Verfahren überzeugt. Mit 30 Mark pro Quadratmeter seien die Kosten bei beiden Verfahren gleich hoch. Und strengere Kontrollen der Umweltschutzauflagen könnten in Zukunft die Rentabilität zugunsten der umweltfreundlichen Varianten noch steigern.
Die Azubis sehen das anders. Ihrer Meinung nach sind die Investitionskosten für das Druckstrahlgerät zu hoch. „Für die 15.000 Mark hat mein Chef viel zuwenig Aufträge“, meint Sabine, eine der 18 zukünftigen GebäudereinigerInnen.
Im Politikunterricht diskutierten die Azubis auch über die Existenzberechtigung der Sprühprodukte. „Was ist Schmiererei, was ist Kunst?“ — „Auf jeden Fall sorgen die Sprayer dafür, daß wir nicht arbeitslos sind...“ Sich die eigene Arbeit heimlich selbst zu schaffen, weisen sie jedoch von der Hand. Für „Schmierereien“ oder politische Parolen haben sie keinen Sinn.
Ob es sich überhaupt lohnt, die besprühten Flächen zu reinigen, das weiß so recht niemand. Auch wenn das „Cleaning-up“ noch so umweltschonend ist: „Was wir heute säubern, wird morgen umso lieber wieder besprüht“, meint der zuständige Fachlehrer und wechselt das Thema.
Marion Wigand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen