: Schulen: Philosophie contra Religion
■ Bildungsbehörde will Wertevermittlung ohne das „C“ im Unterricht anbieten
Das ganze Gewicht eines extra nach Bonn gereisten Senators warf das Land Bremen im Jahr 1949 in die Waagschale, um im Grundgesetz eine „Bremen-Klausel“ zu verankern, die Bremen bis heute Einmaligkeit verleiht: Als einziges Bundesland befreite es sich damals vom evangelischen und katholischen Religionsunterricht und rettete den in Bremen traditionellen „nicht konfessionell gebundenen Unterricht auf allgemein christlicher Grundlage“. Seit 200 Jahren hieß der ökumenische Integrationsunterricht „Biblische Geschichte“, kurz: BGU, der in die Lehrpläne aufgenommen wurde.
Seitdem dümpelt die „Biblische Geschichte“ mehr schlecht als recht in den Bremer Schulen vor sich hin. Das „kalte Aus“ für den BGU befürchtet nun die „Aktionsgemeinschaft Biblische Geschichte/Religionskunde“, ein Zusammenschluß von etwa 60 Bremer FachlehrerInnen. Der Grund: In der Bildungsbehörde wird mit dem Gedanken gespielt, in der Sekundarstufe I ein Ersatzfach „Ethik“ oder „Philosophie“ einzuführen.
Schon jetzt fällt BGU an vielen Schulen ganz weg, in der Sekundarstufe I wird er ohnehin nur in den 7. Klassen unterrichtet. „Dieses Alternativfach wird die Biblische Geschichte verdrängen“, sagt der Sprecher der Aktionsgemeinschaft, Manfred Spieß. „Wir wollen durch das Ersatzfach die Biblische Geschichte unterstützen und nicht ersetzen“, hält Wolff Fleischer-Bickmann, Referatsleiter für Lernplanung in der Bildungsbehörde, gegen.
Bisher können SchülerInnen vom „Religionsunterricht“ befreit werden. Doch statt nach Hause zu gehen, sollen sie nun „Ethik“- oder „Philosophie“- Unterricht erhalten. „Wir halten es für bildungspolitisch sinnvoll, daß sich alle SchülerInnen mit Fragen von Sinn und Werteorientierung auseinandersetzen“, so Fleischer-Bickmann. Niemand wolle dem christlich orientierten Unterricht an den Kragen: „Da werden sich schon mehr SchülerInnen überlegen, ob sie sich vom BGU befreien lassen, wenn sie sowieso etwas anderes machen müssen.“ Diskutiert wird, beide Fächer auf die 9. und 10. Klasse auszuweiten und sie nicht mehr in den Randstunden stattfinden zu lassen: „Dann haben sie auch einen ganz anderen Ernstfallcharakter“, findet der Bildungsbeamte. Letztlich bedeutet der Versuch, mehr Ethik in die Schulen zu bringen, das Freischaufeln zusätzlicher Stunden — und das in Zeiten von Unterrichtsausfällen en masse.
Völlig unnütz findet die Aktionsgemeinschaft der PadagogInnen die Diskussion um ein neues Fach. Manfred Spieß: „Da schwingt der Vorwurf mit, der Unterricht 'auf christlicher Basis' sei nicht pluralistisch genug — dabei ist der oft so pluralistisch, daß wir ihn von den Kirchen um die Ohren gehauen bekommen.“ Und letztlich dreht sich das Gerangel um christliche oder nicht- christliche Wertevermittlung um eine Wochenstunde — ein Schuljahr lang. skai
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