: Ein Sparkassenbuch wirft Zweifel auf
■ Im Mordprozeß gegen Thomas J. wurden gestern weitere Zeugen gehört/ Die Mutter des Angeklagten konnte ihren Sohn nicht entlasten/Jener hält am Widerruf des Geständnisses fest
Moabit.Die Stimme des sonst ruhig sprechenden Richters Füllgraf bekommt einen energischen Ton, wenn er den Angeklagten befragt. Die Aussagen des 23jährigen Thomas J. haben ihn offenbar nicht überzeugt. Zu Beginn des Prozesses in der vergangenen Woche hatte der wegen Mordes angeklagte Thomas J. sein Geständnis widerrufen (die taz berichtete): Nicht er habe am 3. März dieses Jahres Lothar Goetze in seiner Friedrichshainer Wohnung erdrosselt, sondern der 38jährige Wolfgang S., der Freund seiner Schwester.
In ein schlechtes Licht rückte gestern ein Sparkassenbuch die bisherigen Aussagen des Angeklagten. Er hatte behauptet, daß er am 3. März zusammen mit Wolfgang S. von seinem Konto 100 Mark abgehoben hatte. Man habe in einer Kneipe ein paar Bier getrunken und sei danach zusammen in die Wohnung in der Warschauer Straße gegangen. Um 15.00 Uhr sei der später Ermordete Lothar Goetze wie verabredet gekommen. Während der Angeklagte in der Küche Kaffee gekocht haben will, sei es im Wohnzimmer zu einer Auseinandersetzung gekommen. Als er, der Angeklagte, in das Wohnzimmer gekommen sei, habe Wolfgang S. gerade von Goetze abgelassen — Goetze soll bereits tot gewesen sein. Wolfgang S. bestritt das, konnte sich aber daran erinnern, daß er einmal mit dem Angeklagten bei der Sparkasse Geld abgehoben habe, nur an besagtem 3. März soll das nicht gewesen sein. Gestern stellte sich heraus, daß zum letzten Mal am 19. Februar Geld abgehoben wurde. Der Angeklagte erklärte dazu, er habe sich vertan: »Wir waren am 3.März in der Sparkasse, nur haben wir kein Geld bekommen, weil nicht soviel auf dem Konto war.« Der Verteidiger Bernd Kubacki forderte daraufhin vom Gericht, daß die Zapfer der Kneipe, in der die beiden am 3.März Bier getrunken haben sollen, gehört werden. Dem Antrag wurde stattgegeben.
Sein vorheriges Geständnis hatte der Angeklagte damit begründet, daß seine Schwester vermutete, von Wolfgang S. schwanger zu sein. Da er sich ausrechnete, mit einer »Körperverletzung mit Todesfolgen« davonzukommen, habe er zugunsten dieser die Schuld auf sich nehmen wollen. Die Schwester Kerstin kenne auch den wahren Mörder. Vor Gericht hatte sie die Aussage jedoch verweigert.
Die Mutter des Angeklagten, Edith G., sagte gestern vor Gericht, ihre Tochter habe ihr gegenüber nicht geäußert, daß sie wisse, wer der Mörder ist. »Er hat doch gar nicht gewußt, daß Kerstin schwanger ist«, sagte Edith G., »ich habe es ihm erst im Juli erzählt.« Es bleibt nur noch die Schwester, die es ihm erzählt haben könnte und die die Motive für das frühere Geständnis des Angeklagten aufhellen könnte. Der Prozeß wird am Dienstag fortgesetzt. rak
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