: Profit verstopft
■ Die Alliierte Zollstation am Checkpoint Charlie: Der Umbau zerstört die Architektur
Ein Haus am Checkpoint Charlie mache noch keinen Sommer, seufzte vor zwei Jahren die Architekturwelt und ließ sich dennoch den Atem von Großstadt ins Gesicht wehen. Gegenstand des allgemeinen Aufsehens war der Neubau in der Friedrichstraße 207/208: ein gewagtes Produkt moderner Großstadtarchitektur, das ohne viel Federlesens dutzende Wohnungen über sechs Stockwerke mit einem Omnibusbahnhof, einer Zollstation und Aufenthaltsräumen für die Grenzsoldaten verband.
Die Architekten eines der bekanntesten Architekturbüros, der Londoner OMA-Gruppe hatten ein freches Spiel getrieben mit dem gruseligen Mythos der Grenzstation und der simplen Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen. Das Gebäude erschien zum Zeitpunkt seiner Planung als Dokument der politischen Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit des Kalten Krieges und der Berliner Mauer. Zwanzig Jahre hatten sich die drei Alliierten mit einer kleinen Grenzbaracke zufrieden gegeben. Nun sollte das Provisorium endlich einer festen Bleibe der Allierten weichen. Niemand ahnte bei der Planung, daß deren Anwesenheit in Kürze überhaupt unnötig sein werde.
Doch die Architekten, für deren Büro vor allem der Name Rem Kohlhaas steht, wurden gleich in zweifacher Weise überfahren: Nachdem am 9.November die historischen Ereignisse über die Baupläne hinweggeschwappt waren, wurde dem Gebäude vor wenigen Wochen nun endgültig der Garaus gemacht. Man hat den eigentlichen Reiz des Hauses, das völlig offene Erdgeschoß mit seinen wenigen Einbauten völlig zerstört, das Parterre wurde einfach geschlossen mit dem Ziel, möglichst viel Gewerberaum zu gewinnen.
Von Aluminium gerahmte Schaufenster ragen nun wie geparkte Kabinen weit aus dem Gebäude hervor und wirken billig und provisorisch. Als Architekt zeichnet die Claus GmbH Berlin. Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung haben offensichtlich die Entscheidungen des Bauherrn bestimmt. Ein Möbelgeschäft und eine Bank werden demnächst in die Umbauten ziehen.
Obwohl es in seinen Funktionen teilweise bereits sinnlos geworden war, hatte das Gebäude bei seiner ersten Eröffnung im Frühjahr 1990 immer noch überzeugt. Denn die Architekten hatten sich nach dem Fall der Mauer flexibel gezeigt. Noch während des Bauens stellten sie ihre Pläne auf die neue Situation um. Sämtliche Elemente des Erdgeschosses wurden demontierbar gemacht, so daß eine spätere Umnutzung möglich werden konnte.
Einzig der Bedarf an Wohnraum war und blieb zeitlos. Doch selbst hier sind die Folgen der Öffnung nicht ohne Ironie: Vor allem Übersiedler bezogen vor nunmehr zwei Jahren die sechs Stockwerke, von denen sie direkt in ihre ehemalige Heimat zurückblicken konnten.
Das Gebäude gibt sich selbst bescheiden. Etwas zurückgesetzt liegt es zwischen den beiden angrenzenden Altbauten. Die schwarz verkleidete Fassade mit ihren monotonen Fensterreihen und dem gelben Zollkasten wirkt lebensfeindlich. Doch diese bedrohliche Strenge ist ein Rückgriff auf den Charakter der Grenzstation, sie spiegelt die Umgebung des Checkpoint Charlie.
Andere Elemente hingegen verkörpern Großzügigkeit, Weite und Raum, wie das große, offene Erdgeschoß und eine nach oben abschließende Glasfront aus Lamellenfenstern, die den Blick auf eine bewegt strukturierte Galerie freiläßt. Spätestens an dieser Stelle muß auch von dem großen Betonsegel auf dem Dach die Rede sein. Als eine Art Überflieger ragt es in die Straße hinein. Funktional ist es eigentlich völlig nutzlos. Wer vorbeispaziert, mag über die Sinnlosigkeit solcher Baukörper den Kopf schütteln. Es gibt unzählige in dieser Stadt. Das Segel war jedoch bis vor kurzem Bestandteil einer in sich rhythmischen Struktur und verlieh dem Haus den Charakter eines Bahnhofs oder Flughafens.
Seit kurzem aber wirkt es nur noch lächerlich, das große Dreieck über dem letzten Stockwerk. Und nicht nur das Segel: die neuen Umbauten haben das gesamte Gebäude unverständlich gemacht. Die Öffnung der Mauer hat nicht nur die Alliierten vertrieben, sie hat auch die Jagdsaison der Immobilienhaie eröffnet. Der »Sommer«, wie ihn sich die Architekten vor zwei Jahren wünschten, rückt nun in noch weitere Ferne, der Atem der Großstadt ist noch etwas dünner geworden. Nathalie Wozniak
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