: Bestückt mit Bäumen, Frieden und Ausländern
■ Die Baha'i-Gemeinde lud zur Podiumsdiskussion zum Thema »Ausverkauf der Utopien?«/ Barbara John: »Der einzelne Mensch bleibt schwach«/ Ab heute Ausstellung »Die Erde ist nur ein Land« am Alexanderplatz
Tiergarten. »Ausverkauf der Utopien? Zukunftsperspektiven der Menschheit« — das Thema der Podiumsdiskussion vorgestern abend in der Akademie der Künste verhieß einen lehrreichen Abend für uns alle, die wir durch die Ödnis der Welt zwischen Rostock, Sarajevo und Somalia stolpern. Anläßlich der Eröffnung ihrer Ausstellung »Die Erde ist nur ein Land« lud die Baha'i-Gemeinde Berlin dazu ein — ihr religiöser Begründer Baha'u'llah, der von 1817 bis 1892 in Persien lebte, hatte lange vor den weltlichen Versuchen der UNO die Vision eines Weltbundesstaates inmitten eines umfassenden Friedens verkündet.
Doch die Freizeit-Visionäre auf dem Podium waren offensichtlich mit der Fragestellung überfordert. Es befand Andreas Giger, schweizerischer Unternehmensberater und Moderator, daß Marx und Engels »besser einen Roman statt ihrer Sachbücher geschrieben hätten«. Mit dem Hinterherlaufen hinter der sozialistischen Utopie habe sich die Menschheit als »pubertär« erwiesen, werde sie jetzt endlich erwachsen? Huschmand Sabet, aus dem Iran stammender Baha'i-Anhänger und Stuttgarter Unternehmer, wußte genau, wo das menschliche Elend herrührt: »Wir wurden von Götzenbildern umarmt, von Rassismus, Nationalismus und Kommunismus. Das hat alle Belange der Menschheit in irgendeiner Form verseucht.«
Barbara John, Ausländerbeauftragte des Senats, machte gar die Utopien für die Pogrome von Rostock verantwortlich: »Rostock ist der Ausdruck ungeklärter Verhältnisse der Deutschen oder der Europäer zur Realität. Der einzelne Mensch bleibt schwach und anfällig, weil er die Realität nicht aushält, und läuft Utopien und Rattenfängern nach.« Die Realität aber sei, daß wegen des ökonomischen Ungleichgewichts zwischen Erster und Dritter Welt »sich eine wachsende Zahl gut Ausgebildeter in den Entwicklungsländern aufmacht«. Sichtlich überrollt und überfordert, die rassistischen Exzesse erklären zu können, faltete sie die Hände und begann über Kindererziehung zu philosophieren.
Norbert Müllert, der den wegen Erkrankung seiner Frau nicht erschienenen Zukunftsforscher Robert Jungk und dessen Projekt der »Zukunftswerkstätten« vertrat, beugte sich vor, haute mit den Fingern auf den Tisch und befand, daß es wichtig sei, »neue Utopien zu entwickeln, indem wir mit möglichst vielen Menschen möglichst ehrlich reden und ihre Phantasien ansprechen«. Genau das mache er in den »Zukunftswerkstätten«. Man gehe zum Beispiel gemeinsam in Restaurants und bitte darum, einen Tisch mit einem bestimmten Erkennungszeichen aufzustellen, wo Fremde miteinander reden könnten. Alle vier Jahre ein Kreuzchen machen zu dürfen, das sei doch weder Utopie noch Demokratie.
Wie sie sich denn alle das Jahr 2000 vorstellten, fragte der Moderator. Huschmand Sabet (besorgt): Die Dinge bewegten sich »unermeßlich beschleunigt« auf die Katastrophe zu. Unser Problem sei die »mangelnde Opferbereitschaft«: »Für die Götzen gingen einige hundert Millionen in den Tod, aber wer ist bereit, für den Weltfrieden zu sterben?« Dennoch werde es bis zum Jahr 2000 »Erholungstendenzen« geben. Norbert Müllert (aggressiv): Er wolle sich nicht an »solchen Spekulationen« beteiligen, sondern dazu verhelfen, »daß die Menschen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen«. Mit triumphierender Stimme, nach dem Vorlesen eines Gedichtes von 14jährigen: »Das ist die Zukunft, die sie sich wünschen, bestückt mit Bäumen, Frieden und Ausländern.« Barbara John (hilflos): »Wir müssen alle an der Zukunft mitarbeiten.« Große Betroffenheit auf dem Podium. Die Antwort auf die Moderatorfrage nach dem Silberstreif am Horizont ersparte sich die Reporterin. Ute Scheub
»Die Erde ist nur ein Land« — Ausstellung des Nationalen Geistigen Rates der Baha'i in Deutschland, täglich 11-20 Uhr, mit Musik, Dias, Kunst und Kinderprogramm im Ausstellungszentrum unter dem Fernsehturm am Alex.
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