: Appartements statt Off-Filmkunst
■ Berlins erstes und legendäres Off-Kino »Filmkunst 66« muß schließen/ Das »Graffiti« steht kurz vor dem Aus/ Senat sieht keinen Handlungsspielraum
Berlin. Rapide steigende Gewerbemieten fordern ein neues Opfer: Das legendäre Off-Kino »Filmkunst 66« in der Bleibtreustraße wird spätestens zum Jahresende schließen. Die Immobilienfirma »Sofap-Fundus« will auf dem Grundstück des Charlottenburger Kinos, das 1972 gemeinsam mit den Off-Kinos »Klick« und »Notausgang« gegründet wurde, einen Appartementkomplex mit 90 Wohnungen errichten. Der Rettungsversuch, auch in dem neuen Gebäudekomplex ein Programmkino zu integrieren, scheiterte, weil Franz Stadler, der Betreiber des Kinos, mit einem Off-Kino keine monatliche Miete von 30.000Mark einspielen kann. »Als Programmkino hätte ich das Filmkunst 66 nicht mehr führen können. Es überleben nur die großen. Übrig bleibt die Fast-Food- Kultur der großen Kinokonzerne«, sagt Stadler, der zu den Gründervätern der Berliner Off-Kinos zählt. Für Stadler liegen zwischen dem errechneten Mietpreis und dem, was er zahlen könnte, »ganze Welten«. Mehr als 10.000 Mark Miete kann Stadler für ein Kino mit einem anspruchsvollen Programm und 350 Plätzen nicht aufbringen.
Zwei weitere Kinos desselben Betreibers stehen ebenfalls kurz vor der Schließung: Das »Graffiti« in der Pariser Straße ist nach einer 70prozentigen Mieterhöhung des Bundesvermögensamtes, dem das Gebäude gehört, nicht mehr ohne große Verluste zu führen. Das Schicksal des »Tivoli« in Pankow hängt von der Entscheidung der Eigentümerin ab, die das Gebäude zum Jahresende verkaufen will. Reicht die Finanzkraft des ambitionierten Cineasten nicht aus, verliert Pankow ein weiteres Kino. Einzelkinos zu führen, sagt Stadler, habe schon etwas »Idealistisches«, denn schließlich seien es die kleinen Programmkinos gewesen, die John Ford, Howard Hawks oder Jim Jarmush entdeckt hätten.
Im Ostteil der Stadt konnten zwar sechs Filmtheater an Pächter aus den östlichen Bezirken wiederverpachtet werden, die Zukunft einer Reihe anderer Kinos ist aber ebenso ungewiß: Auf dem Gelände des Friedrichshainer Kinos soll ein Hotel gebaut werden, und der Eigentümer des Hauses, in dem noch das »Rio« in Weißensee untergebracht ist, will seine Immobilie nicht wieder als Kino vermieten.
Durch die Monopolstellung der Ufa-Kinos am Kurfürstendamm werden kleine Stadtteilkinos generell benachteiligt: Viele Filmverleiher geben ihre neuesten Produktionen erst an die Kiezfilmtheater weiter, wenn sie im »Zoo-Palast« oder im »Cinema Paris« mehrere Wochen gelaufen sind.
Die Senatsverwaltung für Kultur sieht mit dem Sterben vieler Programmkinos den Metropolenanspruch der Stadt nicht gefährdet. Natürlich könne sich kein Kulturpolitker freuen, wenn ein ambitioniertes Kino wie das Graffiti schließen müsse, so Rainer Klemke, Sprecher der Kulturverwaltung. Doch sei die Berliner Kinolandschaft wie die Stadt insgesamt in einem »dynamischen Prozeß«. Das Eigentum sei durch das Grundgesetz so gut geschützt, daß es für den Senat kaum Handlungsspielräume gebe. Sicher ist: 400 Kinos, die Berlin in der Weimarer Republik hatte, wird es nicht wieder geben — schon heute sind es nur noch 117. Rüdiger Soldt
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