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Keinen Bock auf Diskussionen?

Deutlich weniger Anklang als die Wiederaufnahme der Produktion „Abwege...Ganz normal nach rechts?“ im Jugendtheater auf Kampnagel fand das anschließende Publikumsgespräch zum Thema  ■ Ausländerfeindlichkeit

Mit einem lauten Poltern endete die Vorstellung von Abwege ... ganz normal nach rechts? in der Halle 4 auf Kampnagel. Ein überdimensionales Lagerregal fiel krachend zu Boden und damit die Klappe bei vielen der als Zuschauer anwesenden Schüler aus Lohbrügge, Kirchdorf oder St. Pauli. Der Großteil hatte die Wiederaufnahme des dreiteiligen Theaterstücks, mit dem das Jugendtheater auf Kampnagel (JAK) am Mittwoch die neue Spielsaison eröffnete, mit Wohlwollen aufgenommen. Doch zur anschließenden Diskussion - Thema: „Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ - fehlte den 15- bis 18jährigen offenbar die rechte Lust.

Bezeichnend für einige der Jugendlichen, die sich nach der Vorstellung abseilten, war der Kommentar eines 16jährigen. Der zog einen Klassenkameraden mit den Worten „Komm, laß doch den Scheiß“ von einer der Info-Tafeln im Foyer weg.

Dabei bot das zuvor Gesehene ausreichend Anlaß für eine intensivere Auseinandersetzung. Die beiden aufrüttelnden Monologe Schickelkind und Stefanie - 19 Jahre zwangen fast, aufgrund ihrer untheatralischen und erschreckend realistischen Darstellung, zu weitergehender Beschäftigung mit der Skinhead-Problematik und dem offen aufbrechenden „Nationalstolz“. Ebenso das abschließende Theaterstück Skins - Oi für England.

Doch anscheinend reichte es manchen Schülern, sich die Geschichte von den vier eigentlich unpolitischen britischen Skinhead-Musikern und deren Vereinnahmung durch die rechtsradikale Bewegung National Front nur anzuschauen. Und es verwunderte, daß die verbliebenen Jugendlichen durch die sehr persönliche Inszenierung nicht im erhofften Maße zum Diskutieren angeregt wurden. Merkwürdig unbetroffen wurden die einzelnen Standpunkte vorgetragen. Ob es nun die Lehrer waren oder die Jugendlichen selbst, die Diskussion mit dem gesamten Ensemble unterschied sich nur unwesentlich von der, die tagtäglich in der Bundesrepublik geführt wird.

Weniger eine Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Positionen war es, die vor der Bühne stattfand, als vielmehr eine Hintereinanderreihung der bekannten Pla(t)titüden. Ob es nun Redebeiträge à la „Das Boot ist voll“ oder, das andere Extrem, „Ausländer bleiben, Nazis vertreiben“ waren, eine lebhafte Diskussion wollte sich nicht entwickeln.

„Fertige Lösungen waren nicht zu erwarten,“ schränkte Regisseur Jürgen Zielinski, Leiter des Jugendtheaters ein, der etwas enttäuscht ob des zähen Gesprächsverlaufs wirkte. Lösungen hatte auch seine Inszenierung nicht geliefert, sollte sie auch gar nicht: „Wir wollen die jungen Zuschauer dazu bringen,

1sich über das Thema Gedanken zu machen, und persönliche Betroffenheit erzeugen.“

Doch was im Stück gelang, war anschließend leider nur selten wiederzufinden. Nicht ganz unschuldig daran war auch der Gesprächsrahmen: „Eine klarere Moderation und kleinere Gruppen wären besser gewesen“, gab Dramaturgin Regina Weidele zu, und Zielinski pflichtete bei: „Dann hätten auch die leiseren

1Töne ihren Platz gehabt.“

Die waren in der Tat kaum zu hören. Aber wer traut es sich schon, in großer Runde Sympathien oder auch nur Verständnis für rechtsextreme Positionen zu äußern. Vielleicht findet die notwendige Diskussion solcher gerade auch unter Jugendlichen verbreiteten Standpunkte im Klassenzimmer statt. „Viele Lehrer haben unsere Begleithefte angefordert“, weiß Re-

1gina Weidele von der Nachbereitung im Schulunterricht.

Und Jürgen Zielinski hofft auf eine Auseinandersetzung mit Verzögerung: „Die Wirkung eines Theaterstücks ist nicht zahlenmäßig meßbar. Wenn wir die innere Situation der Zuschauer nur ein wenig verändert haben, dann ist schon viel erreicht.“ Denn solange man redet, prügelt man nicht.

Clemens Gerlach

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