: Verkannte Kurzfilme
■ Start der Katastrophen-Serie, ARD, 20.15 Uhr
Lange bevor in den 70er Jahren die Infernos entflammten, die Erde bebte und die Flugzeuge über dem Bermuda-Dreieck verschollen sind, hat in der 50er Jahren der amerikanische Independent-Regisseur Andrew L. Stone das Genre des Katastrophenfilms erfunden und zu einer nie mehr erreichten Blüte geführt. Zusammen mit seiner Ehefrau Virginia, einer gelernten Cutterin, die sich für den mörderischen Cliffhänger- Schnitt verantwortlich zeichnete, kaufte Stone alte Schiffe, Eisenbahnzüge und Flugzeuge, um im Finale alles in die Luft zu sprengen.
Die fünfteilige Stone-Reihe startet heute mit „Höllenfahrt“ von 1959. Ein gradliniges Desaster-Movie. Der Luxusliner sinkt, und die Masse wird zum Mob, der um die wenigen Plätze in den Booten fightet. Nur einer hält dagegen. Verglichen mit „Flammendes Inferno“ oder „Erdbeben“ ist dieser Film sehr viel authentischer und von den Sets her liebevoller gemacht.
Stone gelingen wie auch in „Feuersturm“ von 1960 (am 3.10.) verkannte Kunstfilme. Der Sheriff einer Kleinstadt nimmt ein paar Halbstarke fest, die sich als skrupellose Rowdies herausstellen, die aufs Ganze gehen. Sie bringen den Gesetzeshüter in ihre Gewalt, und es kommt zu einer psychologisch sehr delikat ausgearbeiteten Flucht durch unwegsame Bergwälder — die Roger Spottiswoode in „Mörderischer Vorsprung“ ziemlich genau abgekupfert hat. Bis der Wald endlich brennt, ist eine Stunde vergangen. Während der ausgiebigen Flucht hat sich der Sheriff auf die Gangsterbraut eingelassen, was ihm bittere Vorwürfe und hinterher eine Verhaftung einbringt. Die kathartische Feuersbrunst verzehrt jedoch alsbald die biedere Kleinstadtmoral. Die Lokomotive stürzt von der brennenden Brücke, und die Liebenden umarmen sich in den Flammen: „Ich glaube, ich bin glücklich“, sagt sie. Genial.
Höhepunkt der Reihe ist zweifellos „Mord in den Wolken“ von 1956 (am 10.10.). Gegen den Rat ihres besten Freundes heiratet Doris Day einen psychopathischen Klavierspieler, der sie mit seiner krankhaften Eifersucht in die Flucht zwingt. Wieder vergeht eine wundervolle Stunde bis zum Showdown in den Wolken. Der Psychopath erschießt beide Piloten, und der überlebende Steward hält es für klüger, nicht bei den Passagieren nachzufragen, ob jemand unter ihnen des Fliegens kundig ist. Also muß Doris Day den Flieger herunterbringen: „Wir benutzen das Mädchen wie eine ferngesteuerte Puppe“, sagt der Fluglotse im Tower zuversichtlich. Treffender kann man es nicht sagen. Und dann folgt noch der Stone-Film „In brutalen Händen“ von 1958 mit James Mason und Rod Steiger. Manfred Riepe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen