: Atomindustrie schafft „globale Opfergebiete“
Auf dem heute in Salzburg zu Ende gegangenen „World Uranium Hearing“ trafen sich Vertreter aus 53 indigenen Nationen/ Gerade diejenigen Menschen, die in der Natur leben, sind von den Folgen der Atomindustrie am stärksten betroffen ■ Aus Salzburg Thomas Pampuch
Floyd Red Crow Westerman, Dakota-Sänger und Darsteller von Chief Ten Bears in „Der mit dem Wolf tanzt“, wird demnächst in die Mandschurei reisen. Er ist eingeladen worden. Zwei dünne Filipinos sitzen mit zwei beleibten Polynesierinnen auf goldgestrichenen Barockstühlchen in der Residenz und essen Tafelspitz. Eine Jakutierin versucht mit zwei australischen Aborigines ins Gespräch zu kommen. Und am Donnerstag abend pflanzt statt dem Mohawk- Häuptling Jake Swamp, der kein Visum erhielt, Floyd Red Crow im Bildungshaus St. Virgil einen „Baum des Friedens“, während gleichzeitig Arlo Guthrie gemeinsam mit einem Publikum aus mindestens 15 verschiedenen Ländern „I can't help falling in love with you“ von Elvis singt. Ginge es nicht um Uranbergbau, Atomtests und Strahlenlangzeitschäden — könnte man sich eine fröhlichere Verwirklichung der Vereinten Nationen von unten vorstellen? Trotz seines Themas war das World Uranium Hearing keine nur deprimierende Angelegenheit. Von Beginn an hatten sich die aus allen Ecken der Welt angereisten Zeugen geweigert, als arme Opfer nach Salzburg zu kommen. Ankläger, ja, das waren sie, aber auch oft selbstbewußte Vertreter anderer, vielleicht weitaus vernünftigerer Lebensweisen. Die jedoch — und das war das Thema — immer mehr bedroht sind. Und damit wohl wir alle.
„Nukleartechnologie ist der Dinosaurier unter den modernen Megatechnologien und stellt die Menschheit insgesamt vor eine neue Situation: Bisher war Irren menschlich, hat die Menschheit immer aus ihren Fehlern lernen können. Beim Umgang mit der Kernkraft aber wird ein Fehler fatal und ein Irrtum unmenschlich.“
Was die Biologin Christine von Weizsäcker Zeugen und Zuhörern des Hearings vortrug, war der Prolog zu einem Marathon von Berichten über eben diese fatalen Konsequenzen einer Technologie, die auch vor einem Völkermord auf Raten nicht zurückschreckt. Der in den USA geprägte zynische Begriff „nationale Opfergebiete“ (für irreparabel verstrahlte Zonen und potentielle Endlager) bekam in Salzburg seine internationale Dimension: Seit Beginn des nuklearen Zeitalters leistet sich der Planet auch „globale Opfergebiete“. Vertreter von 27 Völkern und 26 indigenen Nationen schilderten vier Tage lang, was Uranbergbau, Nuklearindustrie und Atomtests in ihrer Heimat anrichten. Über 70 Prozent der Uranvorkommen der Welt sowie sämtliche Versuchsgelände für Kernwaffen befinden sich auf Territorien indigener Völker. Sie sind es, die am ersten und am meisten unter dem Atomzeitaler leiden.
Schweinereien der nuklearen Nazis
Beispiel Namibia: Dort liegt die Rössing-Uranmine, die lange als eine der gefährlichsten der Welt galt. Cleophas Mutjavikua, der Generalsekretär der Bergarbeitergewerkschaft von Namibia, berichtete, wie das Unternehmen den Minenarbeitern immer wieder die entscheidenden Informationen über die Strahlung vorenthielt und sie belog. Daß dieser Tage eine Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu dem Ergebnis kam, daß die Strahlenschutzprogramme von Rössing auf einem hohen Standard seien, zeigt nach Ansicht der Gewerkschaften nur, wie selektiv die IAEA bei ihren Erhebungen vorgeht. Sie hatte sich ihre Informationen ausschließlich beim Management der Mine besorgt. Auch die neue Regierung des 1990 unabhängig gewordenen Landes kommt gegen den Giganten Rössing nicht an und muß wohl oder übel mit ihm zusammenarbeiten.
Was geschieht, wenn ein Dritte- Welt-Land oder auch die indigene Bevölkerung eines reichen Landes in den Griff der Urangesellschaften geraten? Ob es die Lakota von den Black Hills sind, die Adivasi in Indien oder die Kokozha in Südaustralien, die Bilder gleichen sich: Verseuchung, Verelendung, Vertreibung, Krankheiten, Mißbildungen, Verwüstungen der Natur werden wieder und wieder in den Zeugenaussagen dokumentiert. Dabei ist die Zerstörung, die radioaktive Strahlung anrichtet, meistens eine schleichende Vernichtung von Leben und Lebensgrundlagen. Gerade diese Langsamkeit hat es den Vertretern der Atommafia aller Länder (oder den „nuklearen Nazis“, wie sie hier genannt werden) ermöglicht, jahrzehntelang die wahren Dimensionen der Gefährdungen zu verheimlichen, zu leugnen, zu beschönigen. Als Wladimir Tschernousenko, der Koordinator der Aufräumarbeiten von Tschernobyl und ein dem Tod geweihter Mann, zu Beginn über die Geheimhaltungspolitik der sowjetischen Regierung berichtet, hat er damit ein Generalthema des Hearings angeschlagen. Keine Regierung, kein Unternehmen (und keine Atombehörde), die je mit offenen Karten gespielt hätten, wenn es um nukleare Gefahren ging. Und schon gar nicht die Militärs. „Militärs haben das Uran entfesselt und werden nie darauf verzichten“, stellt Ramsay Clark, US-amerikanischer Justizminister von 1967 bis 1969, nach Ende der Zeugenaussagen fest und fordert eine Reform der UNO an Haupt und Gliedern. Und er fordert die Abschaffung des „Atomclubs“ der ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates, um den armen Ländern und indigenen Völkern endlich mehr Rechte zu geben.
Ayacachi: über 200.000 Tonnen Todessalz
Obwohl (noch) kein Opfer des nuklearen Kolonialismus, macht Elias Carreno aus Cusco, Präsident der „Assoziation für Umweltrecht in der Inkaregion“, mit seinem Bericht klar, wie über jedem Land der armen Welt das nukleare Damoklesschwert hängen kann. Peru hat derzeit wirklich genügend Sorgen, nun droht dem Land der Inkas auch noch der Uranbergbau. Allein im Distrikt von Macusani in der Nähe des Titicaca- Sees sind bei Probeuntersuchungen (mit finanzieller Unterstützung der UNO) 200.000 Tonnen Uranoxid gefunden worden.
Schon die Inkas wußten um die Gefährlichkeit des Materials: „Ayakachi“, Todessalz, nannten sie es und ließen es bei der Pachamama, der Mutter Erde. Wegen der Transportschwierigkeiten haben die internationalen Firmen, denen die Regierung den Abbau andiente, bisher abgewunken. Doch die Gefahr, daß es trotzdem bald zum Abbau kommt, besteht nach Carrenos Meinung durchaus. „Auch wir haben eine kleine Atommafia aus Militärs, Staatsbeamten, Unternehmern und Wissenschaftlern.“
Das Beispiel Macusani weist auf die Tragik vieler armer Länder hin: Von ökonomischen Problemen und einer riesigen Arbeitslosigkeit geplagt, greifen die Regierungen nur zu gern nach den vermeintlich wie real strahlenden Aussichten, die ihnen eine Beteiligung am internationalen Brennstoffkreislauf bietet.
„Man kann nicht mehr das Ende des nuklearen Zeitalters fordern“, sagt Claus Biegert, der das World Uranium Hearing vor fünf Jarhen initiiert hat. „Das radioaktive Erbe bleibt uns. Wir müssen damit leben. Und dazu gehört, daß die Isolation derer durchbrochen wird, die am meisten unter der Nukleargesellschaft leiden. Eine Isolation, die erlaubt, daß diese schmutzigen Geschichten im Hinterland der Welt passieren.“ Zumindest ganz so unbemerkt wird das seit Salzburg wohl nicht mehr gehen. Auch darum reist Floyd Westerman in die Mandschurei.
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