Verzicht ist keine Frage der Moral, sondern der Vernunft

■ Mit verbesserter Technik allein werden die Umwelt-probleme unserer Zeit nicht zu lösen sein, lautete das Fazit einer Forumsveranstaltung auf dem "Deutschen Umwelttag" am...

Verzicht ist keine Frage der Moral, sondern der Vernunft Mit verbesserter Technik allein werden die Umweltprobleme unserer Zeit nicht zu lösen sein, lautete das Fazit einer Forumsveranstaltung auf dem „Deutschen Umwelttag“ am Wochenende in Frankfurt. Die Hauptveränderung, so ein Referent, könne nicht die Maschine leisten — sie müsse sich schon im Menschen vollziehen. Denn auch Erfolge in der Umwelttechnik können nicht darüber hinwegtäuschen, daß verzichtet werden muß.

Lange Zeit wollte es auch in der deutschen Umweltbewegung niemand mehr in den Mund nehmen: das V-Wort. Doch mit den immer deutlicher werdenden Grenzen technokratischen Umweltschutzes und dem neuen Bewußtsein für die globalen Dimensionen des Umweltproblems läßt es sich nicht mehr wegdrücken: Verzicht. Politiker scheuen das religiös besetzte Wort wie der Teufel das Weihwasser — und dennoch werde er nötig werden, meinte der Publizist Bernd Ulrich am Wochenende auf dem Deutschen Umwelttag in Frankfurt.

Der technische Fortschritt, die Effizienzrevolution im Dienste des Umweltschutzes seien notwendig. Doch dürften die Erfolge der Technik nicht darüber hinwegtäuschen, daß aus Gründen des ökologischen Überlebens Einschränkungen notwendig seien. Das habe nichts mit Moral zu tun, erklärte Ulrich der versammelten Prominenz der deutschen Umweltverbände — das sei eine Frage der Vernunft. „Es wird immer geredet, als würde die Hauptveränderung, die notwendig ist, sich in der Maschine vollziehen, nicht im Menschen. Sie muß sich aber im Menschen vollziehen.“

Im Gegensatz zu den Politikern, die meinten, wer von Verzicht rede, sei ohnehin nicht wählbar, und die besorgte Wissenschaftler und Publizisten gern abends beim Bier zur Seite nähmen, um über die Unbelehrbarkeit ihres Wahlvolkes zu stöhnen, hält Ulrich die Menschen für viel klüger: „Es wird immer gesagt, Kohl habe uns bei der Vereinigung belogen, allen werde es besser gehen. Das ist natürlich nicht wahr. Aber das haben die Deutschen auch damals schon gewußt, daß sie dieses Gerede nur über das nächste Jahr rettet.“

Wer auf den Wald schaut und nur Holz sieht...

Der Umweltökonom Reinhard Loske wollte dem nicht grundsätzlich widersprechen. Loske, der im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium arbeitet, beobachtet, wie „die Leute geradezu danach lechzen, etwas zugemutet zu bekommen. Es ist das Gefühl da, es muß sich was ändern“. Wenn die Bürgerinnen und Bürger allerdings den Eindruck bekämen, es sei keine Linie drin, der Staat wolle nur abkassieren, dann sei die Bereitschaft zum Abgeben eben nicht da.

Bei der Frage Effizienz oder Verzicht plädierte Loske für ein entschiedenes „Sowohl-Als-auch“. Wer rein technokratisch nur Verbesserungen der Technik und der Effizienz fordere, erfasse nur einen Teilabschnitt menschlichen Lebens. „Wer auf den Wald schaut und nur Holz sieht, erfaßt nur einen kleinen Teil der menschlichen Wirklichkeit.“ Loske beschrieb das indische Dorf, in dem die Palmendächer zeitweise durch Blechdächer ersetzt worden seien. Die hielten zwar fünfmal so lange; aber nachdem die Dorfgemeinschaft gemerkt habe, daß mit dieser Innovation auch das damit verbundene traditionelle Dorffest verschwunden sei, hätten die Inder das Blechdach entfernt und seien zu den alten Palmenkonstruktionen zurückgekehrt.

Wer dem Essayisten Ulrich nicht recht glauben wollte, bekam am Samstag harte Fakten geliefert, die eine Verzichtsdebatte notwendig erscheinen lassen. Der Berliner Politologe Martin Jänicke führte in einer der Forumsveranstaltungen des Umwelttages eindrucksvoll vor, wie selbst bei den technologisch fortschrittlichen Japanern die technischen Erfolge im Umweltschutz durch das pure Wachstum wieder aufgefressen worden sind. Nachdem die japanische Wirtschaft ihre Umweltbelastung von Anfang der siebziger Jahre bis zum Jahr 1986 weitgehend konstant habe halten können — trotz immenser Wachstumsraten — habe sich die Situation seitdem dramatisch verschlechtert, so Jänicke. „Nach 1986 stieg der Energieverbrauch ebenso wieder an wie der Gütertransport. Und es hat fast den Anschein, als habe Japan zunächst einmal alle Möglichkeiten der Umweltverbesserung ausgereizt.“ Jänickes Fazit: Am Beispiel Japan lasse sich zeigen, „wie weitgehende Umweltentlastungen möglich sind und wie rasch sie dennoch bei hohem Wirtschaftswachstum wieder verloren gehen“.

Der Staat darf kein Wachstumsmotor sein

Was tun? Der heutige Staat sei überfordert, so der Politologe. Der Staatsapparat müsse dringend ökologisch modernisiert werden, müsse aufhören, als Wachstumsmotor zu fungieren. Gewerkschaften, Verbraucher, Umweltverbände, aber auch Unternehmen müßten ihre Möglichkeiten zur praktischen Umweltpolitik nutzen. Vor allem aber sei „eine neue Radikalität der Umweltbewegung“ erforderlich. Der Wissenschaftler verzichtete auf den Begriff Verzicht. Aber: „Wachstumsraten sind ökologisch ein Politikum für sich. Ein Wachstum von fünf Prozent bedeutet in 14 Jahren eine Verdoppelung und in 70 Jahren eine Verdreißigfachung.“

Was Jänicke als neue Radikalität der Umweltbewegung bezeichnete, hatte Ulrich tags zuvor als Beteiligung der Umweltschützer am notwendigen „ökologischen Quantensprung“ bezeichnet. Der aber müßte gesellschaftlich organisiert und diskutiert werden. „Wenn die Verknappung als individueller Niedergang erlebt wird, wird sich jeder einen Sündenbock suchen — Ausländer oder auch Politiker“, warnte Ulrich. Er malte ein düsteres Szenario. Den Verzicht werde es sowieso geben müssen: „Entweder selbstbestimmt und gemeinsam oder chaotisch und getrennt.“

„Der Umweltbewegung fehlt eine Utopie“

Eine seltsame Übereinstimmung mit dem Umweltreferenten des Otto- Versandes, Sönke Nissen. Auch der forderte mehr programmatisches und konzeptionelles Denken in der Ökologiedebatte. „Der Umweltbewegung fehlt eine Utopie“, so der Unternehmensverteter zu den in Frankfurt diskutierenden Umweltschützern. „Dieses Vakuum muß ausgefüllt werden. Ich glaube, daß durch Katastrophenstimmung sehr wenig erreicht werden kann.“ Hermann-Josef Tenhagen, Frankfurt/Main