piwik no script img

Die alternative Altlast

■ Das Tempodrom lud zur Diskussion am Runden Tisch: Wohin mit dem Volkszirkus, wenn die Deutsche Regierung kommt?

Es stinkt zum Himmel: Über dem gesamten Tempodrom liegt eine dicke Geruchsschwade, als lagere im Tiergarten eine ganze Herde von Kamelen. Doch der Gestank stammt aus einer Chemiefabrik am anderen Spreeufer, in Moabit, und zieht bei ungünstigem Wind hemmungslos herüber in das zukünftige Regierungsviertel. Der Bundeskanzler (N.N.), der dort eines Tages residieren soll, wird sich bedanken und schleunigst für die Schließung dieses Betriebs sorgen, denn dieser Zustand ist niemandem zuzumuten, außer den Leuten vom Tempodrom. Aber die werden dann längst von dort verschwunden sein.

Solange im ehemaligen West- Berlin niemand mit dem Tiergarten etwas rechtes anzufangen wußte, war Irene Moessingers Privatzirkus dort hochwillkommen, und unzweifelhaft hatte es die Frontstadt in der unkonventionellen Nutzung degradierter Flächen zu einiger Perfektion gebracht. Nahtlos glitt man »In den Zelten« in die Tradition von Volksamüsement und demokratischer Volkshochschule wie zu Kaisers Zeiten. Doch nun heißt es wieder herzugeben, was des Kaisers ist: In den Planungsunterlagen für den Architektenwettbewerb am Spreebogen ist die Stelle, an der heute die Zelte des Tempodroms stehen, für eine vielgeschossige Bebauung freigeräumt.

Mit dem unheimlichen Gefühl der heimlichen Abwicklung unter die Haut ging die Tempodrom-Crew in die Offensive trieb. Ganz wie zu guten Wendezeiten berief sie einen Runden Tisch ein, um aus dem Kaffeesatz von Absichtserklärungen des Senats ganze Bohnen zu machen. Der verhinderte Stadtentwicklungs- Senator Volker Hassemer schickte seinen Staatssekretär Prof.Dr. Lutz Wicke, der freiwillig die Buhmann- Rolle an diesem Abend spielte: »Leider, leider, aber hier nicht.« Im »konsistenten Hauptstadtkonzept« sei für das Tempodrom an dieser Stelle trotz anerkannter kultureller Leistungen kein Platz — und Wicke zog noch einen Trumpf aus dem Ärmel: Schon jetzt gebe es laufend Beschwerden der Anwohner wegen der Lärmbelästigung. Also müsse das Tempodrom — wie jeder Investor — einen geeigneten Platz suchen, zu dem der Senat dann ja oder nein sagen könne.

Da sprang der Senator für Enterbte und Kulturelle Angelegenheiten, Ulrich Roloff-Momin, in die Bresche: Nur weil das Tempodrom nicht den Musikstil pflege, der Helmut Kohl den Schmalz in die Ohren treibt, könne es nicht einfach wie ein ausgedienter Esel in die Wüste geschickt werden. Seine Maxime: Das Tempodrom muß hier bleiben, plus/ minus 500 Meter im Umkreis: Entweder könne es neben der Kongreßhalle stehen oder einfach in die Gebäude der Gartenbauverwaltung des Bezirks Tiergarten in der Mitte desselben ziehen.

Die Antwort des Bezirks steht noch aus, doch Irene Moessinger hat schon eine neue Idee: Nicht nur wegen des Lärms, sondern auch zwecks einer vollsaisonalen Nutzung des zukünftigen Tempodroms möchte sie eine Öko-Halle, einen »abgefahrenen Bau«, an den neuen Standort stellen. Der könnte sich auch auf der Tunnelrampe am Kemperplatz oder auf dem ehemaligen Gelände des Zirkus Busch am S-Bahnhof Hackescher Markt befinden. Vorerst bleibt aber das Tempodrom, wo es ist: Roloff-Momin gab eine Bestandsgarantie bis 1994 ab — sofern vorher kein Erdbeben stattfindet. Lutz Ehrlich

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen