piwik no script img

Verantwortung hinter hohler Amtssprache

■ Podiumsgespräch zwischen Stasi-Opfern und Mitgliedern des »Insiderkomitees« im »Haus am Checkpoint Charlie«/ Es gab klar verteilte Rollen und kaum Dialog/ Keine neuen Fakten von ehemaligen MfS-Angehörigen

Auch wenn das Interesse an der Stasi- Diskussion mittlerweile zurückgegangen ist, veranstaltet Rainer Hildebrandt, der Leiter des »Hauses am Checkpoint Charlie«, weiterhin Podiumsgespräche zwischen »Opfern« und »Tätern« des DDR-Regimes. Mit einem christlichen Existentialismus, der in dem Dostojewski-Satz »Jeder ist schuld an allem« gipfelt, wirkt Hildebrandt dabei auf eine fast ehrfurchtgebietende Weise unzeitgemäß. So dramatisch und kathartisch wie bei Dostojewski ist die bundesrepublikanische Wirklichkeit jedoch leider nicht.

Selten nur finden sich Täter und Opfer im Gespräch. Zuweilen ist die Schuld der Täter auch komplizierter, als viele der Opfer meinten, die gekommen waren, um einer Diskussion mit Mitgliedern des von ehemaligen MfS-Mitarbeitern gegründeten »Insiderkomitees für Aufklärung« zu lauschen.

Die Geschichte von Hans Völkner zum Beispiel, einem der Mitbegründer des »Insiderkomitees«, erschwert einfache Schuldzuweisungen: Die Nazis ermordeten seine Eltern, die Kommunisten hielten ihn acht Jahre lang in Bautzen gefangen. Später arbeitete er bei der Stasi als Auslandsspion. Völkner saß diesmal nur im Publikum. Auf dem Podium sprachen statt dessen drei Kollegen vom »Insiderkomitee«, zwei Bürgerrechtler und Rainer Hildebrandt.

Die Rollen waren klar verteilt. Ein Dialog kam kaum zustande. Zu unterschiedlich waren die Interessen derer, die sich als Opfer mit ihren konkreten Leiden identifizierten, und jener, die sich nur abstrakt zu ihrer Rolle im Repressionsapparat bekennen wollten. Allein der Rostocker Manfred Terpe, der zwei Jahre lang die Kirche ausforschte und ein bißchen an einen jungergrauten Boxer erinnerte, stellte seine Tätigkeit jenseits von Sieg oder Niederlage in Frage: »Wenn es heißt, Demokratie mit geheimdienstlichen Mitteln installieren zu wollen, Innenpolitik durchzuführen und pluralistische Spielräume zu schaffen — das geht nicht.«

Klaus Eichner dagegen, der seit 1957 aus »politischer Überzeugung« in der Spionageabwehr und Gegenspionage arbeitete, benutzte eine Amtssprache, in der kaum noch Platz war für ein verantwortliches Subjekt.

Dagegen, daß man die Rolle der Stasi aus ihren konkreten historischen Bedingungen heraus begreifen müsse oder daß die 30 Mitglieder des Insiderkomitees sich mit ihrem »Fachwissen« an der »Vergangenheitsaufarbeitung« beteiligen wollten, hatte man nicht so sehr etwas einzuwenden. Doch die »Gedankenäußerungen, die ich hier vornehmen werde«, so Eichner, führten »schon zu einem ersten Dilemma«. Fast tragisch wurde es, als der Ex-Stasi- Mann davon sprach, daß »unser Denken und Handeln« stark von einer »Verbindung aus freiwilliger Parteidisziplin und militärischer Disziplin beeinflußt« wurde. »Dadurch entstanden Mechanismen und bestimmte Persönlichkeitsstrukturen, über die man lange reden müßte. Das wirkt immer noch nach.«

Seltsam leer und floskelhaft wirkten die Sätze, in denen er sich zu seiner Schuld bekannte. Auch in den zerknirschten Worten seines Kollegen Wolfgang Schmidt, der »de facto seit zwanzig Jahren als Chefanalytiker der Aufklärung« gearbeitet hat, war kein Platz für die Opfer: »Das ist für mich ein verpfuschtes Leben. Das können Sie mir glauben. Ich weiß, daß wir die Verlierer der Geschichte sind. Ich fühle mich auch als Verlierer. Sie sind die Sieger, und sie bestimmen die Atmosphäre dieser Auseinandersetzung«, sagte er zu den versammelten Stasi-Opfern, die sich alles andere als begünstigt fühlten.

Erregt konterten einige mit Vergleichen wie Stasi gleich Gestapo und Insiderkomitee gleich HIAG (Hilfsorganisation der SS-Angehörigen). Das empörte sowohl den Leiter des Museums, der in Nazi-Haft gesessen hatte, als auch Hans Völkner, dessen Eltern in Plötzensee hingerichtet worden waren: »Das ist der Gipfel der Infamie. Ich würde mich schämen, wenn ich dazu schweigen würde.« Trocken antwortete ein ehemaliger Bautzenhäftling: »Mußt du!« Mit neuen »Fakten« konnten die Mitglieder des Insiderkomitees an diesem Abend nicht dienen. Einen Eindruck von den Verletzungen und Deformierungen, die die DDR in ihren Opfern und Tätern hinterlassen hat, gewann man jedoch noch im Scheitern eines Gesprächs, das sich noch lange hinzog. Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen