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Eddys Gesicht

„Der Erdnußmann“ von Dietmar Klein  ■ Von Christiane Peitz

Eddy steht vorm Spiegel. Faßt sich an die Backenknochen, streicht übers Kinn. Verzieht die Mundwinkel, taxiert Ohren, Augenbrauen, Haaransatz. Läßt locker. Die Mundwinkel zeigen immer noch nach unten, überhaupt: Alle Linien führen abwärts. Bei Eddy ist das keine Frage des Mienenspiels, sondern Natur. Eddy hat ein Verlierergesicht. Er kann nicht anders.

Der häßliche Deutsche entdeckt sich selbst. Die Szene vorm Spiegel ist komisch, eben weil keine Fratzen geschnitten werden. Was sich da zeigt, ist, wie es ist. Kein schönes Gesicht.

Eddy klebt Plakate. Er ist der Schnellste. Acht, neun Teile für eine Wand, oben links anfangen, zwei Quasten, in jeder Hand eine. Im Rhythmus trägt er den Kleister auf, hastet die Leiter hoch, faltet auseinander, rauf, runter, rechts, links, drüberstreichen, die Leiter wieder runter, ins Auto und ab. Kasulke, der Chef der Berliner Plakatierklitsche, schießt morgens mit der Pistole zum Start, und die Autos seiner Angestellten schießen los, als gelte es, eine Rallye zu gewinnen. So beginnt „Der Erdnußmann“. Rasant, heftig, laut. Aber so bleibt es nicht. Das liegt an Eddys Gesicht.

Kasulke hat jetzt Ossis angestellt, die sind billiger. Also kriegt auch Eddy weniger. Er kann kaum davon leben. Seine Wohnung ist ärmlich und potthäßlich, ein Haufen Müll, dekoriert mit viel Plüsch. Sein Freund Ralf schleppt Nutten an und vögelt lautstark im Nebenzimmer. Eddy mag das nicht. Meistens sitzt er im Fernsehsessel, den man mit Knöpfen und Fernbedienung verstellen kann. Eddy übt Cha-Cha-Cha mit einer Lernkassette und geht zum Tanzcafé.

Dort trifft er Margot. Margot ist Ostfrau, dick und romantisch, und besitzt eine Imbißbude am Stadion der Weltjugend. Es stört sie nicht, daß Eddy so wortkarg ist. Als sie die erste Nacht verbringen, sagt er: „Vor langer Zeit war ich auch mal mit einer zusammen, aber ich hab' verjessen, wie et iss.“ Es ist sein längster Satz. Margot sagt: „Du mußt meinen Busen anfassen.“ Eddy wußte nicht mehr, wie weich ein Busen ist.

Aber dann wird Eddy von Linda entdeckt. Linda ist Creativ-Direktorin einer Werbefirma und braucht einen Mann für die Erdnußreklame, mit der der Osten versorgt werden soll. Einen, der mit unschuldig überzeugendem Blick eine Dose Nüsse schütteln kann. Einen mit Eddys Gesicht. Jetzt klebt er nicht mehr Plakate, sondern ziert sie mit seinem Konterfei. Kasulke staunt.

„Der Erdnußmann“ könnte ein wunderbarer kleiner Film sein über kleine Leute in Berlin nach dem Mauerfall, über die unspektakulären Folgen der Wende. Ein Berlin-Film ohne Alex und Kudamm, ohne Trabi-Nostalgie und Spurensuche nach Mauerresten. Ein Film über Eddys Gesicht, das des Schauspielers Achim Grubel.

Aber Regisseur Dietmar Klein („Solingers Rudi“, auch mit Achim Grubel) will mehr. Weil Eddy in die Werbung gerät, wird die Branche kritisch unter die Lupe genommen; das PR-Team, allen voran Linda, gibt sich modisch dekadent: lauter Psychowracks. Klein stellt TV- Spots nach und macht sich lustig über die neue Ostidentitätsreklame. Aber der Karikatur gelingt nicht einmal die Komik des Originals.

Eddy nimmt an einem Statisten- Casting teil, und Klein nutzt die Gelegenheit, um sich auch über die Kinoindustrie zu mokieren. Die unendliche Vervielfältigung von Eddy auf allen Plakatwänden entwertet das Bild im Spiegel. Und als dem Erdnußmann seine Karriere zu Kopf steigt, wechselt er den Fernsehsessel gegen ein Bett mit allen technischen Schikanen ein. Für Margot ist er sich jetzt sowieso zu schade.

Eddy wird blind im Erfolgsrausch, Klein verliert sich in Gags. Der schweigsame Eddy wandelt sich zum Alleinunterhalter, und Klein wird geschwätzig. „Eine typische Aufsteigerstory mit Leichtigkeit und Witz“ wollte er erzählen. Das Besondere verliert er dabei aus den Augen. Schade um Eddys Gesicht.

Dietmar Klein: „Der Erdnußmann“. Drehbuch: Bernhard Türcke. Kamera: Michael Hammon. Mit Achim Grubel, Franziska Troegner, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Watzke. Deutschland 1992, 80 Minuten

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