piwik no script img

Eine Griechin, grüßet sie!

■ Anna Badora inszeniert Grillparzers „Medea“ in Mainz

Ein größerer Kontrast ist kaum denkbar. Hier die blonde, gütig und gerecht wirkende Griechentochter, und dort die dunkle Zauberin aus dem Barbarenland, wo die Menschheit aus Sicht der Griechen um Jahrhunderte zurück ist: Kreusa, die Korintherin, und Medea aus Kolchos. Die eine eine Tochter aus neureichem Haus (man residiert in einem Betonpalast, den Klaus Baumeister gewaltig und in kühlem Blau baute); die andere mit fremdem Geruch und selbstbewußtem Gesichtsausdruck.

Wir sind in Mainz, und Adele Neuhauser spielt die Medea. Sie ruht in sich, läßt sich in der Hocke nieder, wie eine sprungbereite Raubkatze, mit Händen, die jede innere Bewegung nach außen formen, und einem Gesicht, das die spielerische Überheblichkeit der Frau zeigt, die weiß, wo ihre Stärken liegen. Heidi Ecks als Kreusa müßte hingegen erst einmal die Schuhe ausziehen, um gehen zu lernen. Im zu knappen Mini wirkt sie, als sei der zurückgekehrte Jugendgespiele Jason tatsächlich ihre letzte Chance. Daß sie dem Mitbringsel Medea tatsächlich eine Freundin sein will, wie Franz Grillparzer das wollte, mag man nicht so recht glauben. Kreusa und Jason tauschen versteckte Zeichen und Vertraulichkeiten aus, von Beginn an ist deutlich, daß Medea auf dem griechischen Parkett bereits ausgespielt hat, bevor sie selbst den Kampf aufnehmen kann.

Da hilft es auch nicht, daß sie sich zuerst einmal auf das Spiel einläßt. Sie kleidet sich griechisch und trainiert Assimilation. In hochhackigen Schuhen wirkt sie deplaziert und merkt das auch. Und schon hockt sie sich hin und sitzt da, als spiele Anna Magnani in einer römischen Vorstadt die feine Dame. Daß Anna Badora Grillparzers Text mit solchen kurzen, witzigen Bildern konterkariert und ihm auch dort nicht folgt, wo er seine „Medea“ als schicksalhaftes Trauerspiel anlegte, ist verständlich. Denn er staffiert den Mythos mit einer Art Gottesurteil aus, läßt die Söhne sich von der Mutter abwenden und geht in szenischen Anweisungen gar so weit, daß Jason „schmerzlich“ die Hand nach den Kindern ausstreckt.

Etwas viel Ehre für den nach Griechenland zurückgekehrten Eroberer, dem die mitgebrachte Frau lästig wird, sobald die Griechen ihn selbst zum Fremden stempeln wollen. Jason (Artus-Maria Matthiessen) hat kaum einen Blick für die beiden Söhne und ist ein schamloser Spieler, der sich selbst noch in Griechenland an Medea heranmacht, als gelte es, die erlegte Beute immer wieder zu erlegen. Jede Geste der Annäherung gerät zum kalkulierten Verrat.

Immer wieder aber bricht Trennungsschmerz durch. Anna Badora läßt den Grund durchschimmern, auf dem sich das Paar trotz allem paradox bewegt. Jason liebt Medea, sie liebt ihn, zwischen beiden fluten erotische Energien, von denen man im korinthischen Königshaus nicht einmal zu träumen wagt. Zwar hätte Medea allen Grund, ihre Zauberkünste gegen ihn zu wenden, aber es gilt immer noch, was Pasolini auf dem Gesicht der Callas festhielt. Wenn Jason naht, schlägt die Liebe ins Gemüt, droht die Ohnmacht.

Daß es Kreon beim Anblick einer Frau so ergehen könnte, ist nicht zu befürchten, mehr ein Kumpel als ein König. Man lebt gut und gerne in Korinth, in solchem Ambiente ist eine Fremde wie Medea eher eine unappetitliche Störung, weniger ein politisches Ärgernis. Andreas Ebert spielt einen gesundgestählten Makrobiotiker, der während der Massage ans Regieren denkt und Grillparzers Blankverse so zergliedert, als sei jedes Herrscherwort eines zuviel.

Anna Badora hat für ihre Inszenierung, mit der sie ihre zweite Spielzeit in Mainz einleitete, hauptsächlich den dritten Teil von Grillparzers Argonauten-Trilogie verwendet, ihn entschlackt und einige wenige Szenen aus den beiden anderen Teilen eingefügt. Zuvor zeigt sie, wie Medeas Vater einst selbst durch Verletzung des Gastrechts in Besitz des goldenen Vlieses gelang. Am Ende erlaubt sie sich dann eine kühne Wendung: Jason schreitet mit Medea vor zur Rampe, hin zum Publikum. Beide lachen erleichtert, als sei das böse Spiel nun zu Ende. Dann sagt Jason: „Hier Griechen, eine Griechin, grüßet sie.“ Bei Grillparzer hat Medea das letzte Wort. Sie sagt zu Jason: „Büße! Ich geh, und niemals sieht dein Aug mich wieder!“ Jürgen Berger

Franz Grillparzer: „Medea“. Regie: Anna Badora. Ausstattung: Klaus Baumeister. Mit Adele Neuhauser, Brigitte Goebel, Heidi Ecks, Artus-Maria Matthiessen, Andreas Ebert, Stephane Meader. Staatstheater Mainz. Weitere Vorstellungen: 25. und 28. September; 2., 4. und 9. Oktober.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen