: Ein Bär für gewisse Stunden
■ Eine SFB-Reihe schickt kleine Leute anspruchsvoll ins Bett
Daß aus Kindern irgendwann mal Leute werden ist natürlich eine Binsenweisheit. Dennoch sollte sich jedeR, der mit Kindern, pardon, mit „kleinen Leuten“, zu tun hat, sich hinter die Ohren schreiben: Das Langzeitgedächtnis dieser Zielgruppe funktioniert hervorragend! Darum ist es so wichtig, was man den Kids in frühen Jahren vorsetzt. Und die kleinen Leute — ein Ausdruck, der Marianne Wagner, Redakteurin der Reihe „Ohrenbär“, besser ins Konzept paßt als die herablassend klassifizierende Bezeichnung „Kinder“ — werden jeden Abend um halb acht vom SFB mit anspruchsvollen Geschichten ins Bett geschickt.
Die AutorInnen der Reihe sind sich der Verantwortung ihres kleinen Paktes bewußt, der zwischen den kleinen Menschen und denjenigen unter den Großen besteht, denen die „Alltagsvernunft“ noch nicht das letzte Fünkchen Sur-Realitätssinn geraubt hat.
Ernstgenommen werden die kleinen Kunden von einer beachtlichen Schar AutorInnen, die Frau Wagner aus der anderen Seite ihres redaktionellen „Doppellebens“ rekrutiert: aus den Reihen der „Passagen“-Flaneure. An die 105 bekannte oder bis dahin noch „namenlose“ große Leute haben bislang dem „Ohrenbär“ ihre Stimme geliehen. Im künstlerischen Anspruch liegt diese kleine Form der Radiokunst keineswegs unter dem Niveau der „Passagen“- Sendung für „Ausgewachsene“. Ein bequemer Griff in den Baukasten der Kinderbuch-„Fließband- Produktionen“ gilt als mieser Trick und darf nicht sein.
Daß die kleinen Leute dies zu schätzen wissen, belegt die Fan- Post an die Redaktion. Das Spektrum dieser Zuschriften ist so vielfältig wie die Geschichten selber. Da gibt es Slogans wie „Wer den Ohrenbär nicht kennt, der hat die Rundfunklandschaft verpennt“ (Jan, acht Jahre) oder Bonmots aus Arnes Feder: „Ohrenbär, den hör' ich gern, dann seh ich lieber nicht mehr fern.“ Der Ohrenbär, der allabendlich ins Kinderzimmer hereinstapft, kommt aus der Sicht der kleinen Fans mal als Sandmännchen oder Seelentröster oder auch als freiwilliger Fernseh- Selbstzensor an. Wer weiß, sind die Kids erst mal dem „Ohrenbär“-Alter entwachsen, vielleicht legt ja dann die Erinnerung an „Qualität im Radio“ den Grundstein zum anspruchsvollen Medienverhalten?
Ein Prost auf die „Frauen- und Mannschaft“ (Sabine Ludwig, Anne Hartwich und Dr. Werner Lüder), die jetzt den fünften Geburtstag ihres Radiokindes mit einer Party feiern. Man kann sicher sein: Da ist der Bär los! Gaby Hartel
„Ohrenbär — Radiogeschichten für kleine Leute“ gibt's täglich um 19.30 Uhr auf SFB1, MDR, WDR und MDR
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