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»Wir in Marzahn ham kurze Haare«

■ Im Prozeß gegen Mike L., der einen Vietnamesen mit dem Messer erstach, sagten gestern seine »Kumpels«, frühere Skinheads, aus

Moabit. »Notwehr« sei das alles gewesen, behauptet der 17jährige Maurerlehrling Mario S. Aus purer Notwehr habe sein Kumpel Mike L. im April in Marzahn einen Vietnamesen erstochen. »Weil ein Mann mit allen möglichen Leisten auf ihn einjejangen war. Das hab' ick später dann jehört.« Er und weitere Freunde des wegen Totschlags vor Gericht stehenden 22jährigen Angeklagten, die am zweiten Prozeßtag als Zeugen vernommen werden, haben zwar viele Gerüchte gehört, aber wenig gesehen — oder sehen wollen.

Der Zeuge Mario S. kommt sich sichtlich toll vor. Blondgefärbte Haare, ein breites Grinsen und ein noch breiterer Gang. Früher waren die Haare noch kürzer, gibt Mario S. zu. »Wir in Marzahn ham kurze Haare, weil wir das schön finden.« Allein deswegen?, bohrt Anwältin Margarete von Galen. Sie vertritt den Vater des Getöteten als Nebenkläger. »Muß ich das hier sagen?« Der Zeuge zögert. »Na ja, ick wollte damit zeigen, daß ick im Prinzip mehr zu den Rechten neige. Daß man sich mehr als Deutscher fühlt und das auch gerne zeigen will.«

Deswegen, denn »die Türken stehen schlecht auf kurze Haare, die wollten uns uffroochen in West-Berlin«, besorgte sich die Clique Holzknüppel. An jenem Tag, als Mike L. den vietnamesischen Zigarettenhändlern die Kisten vor der Kaufhalle wegkickte und dann von ihnen »umringt« wurde, lagen die Waffen in der 200 Meter entfernten Wohnung von Mario S. Zwei Kumpels alarmierten den Maurerlehrling, Mike sei »in Schwierigkeiten«, er solle die Schlagstöcke hinbringen. Mario S. spurtete los, doch »da hat es sich schon allet jejeben«. Der tödlich verletzte Vietnamese blieb zurück. Die Freundin von Mario S. ist Mitbesitzerin der Knüppel. Wozu sie die denn gekauft hätten? »Da kann ich keine Antwort geben«, piepst die 18jährige Verkäuferin Cornelia R. Keine Antwort? »Na, weil sie billig waren.« Die Nebenklägervertreterin staunt: »Kaufen Sie alles, was billig ist?« — »Nein.« — »Und?« — »Nüscht weiter.«

Noch verstockter ist Uwe K., ein 20jähriger Bauhelfer. Sämtliche Prozeßbeteiligten haben die größte Mühe, ihm irgendeine verständliche Aussage aus der Nase zu ziehen. Der Freund und Trinkkumpan des Angeklagten stand direkt daneben, als dieser zustach. »Und dennoch haben Sie auf Ihrem Logenplatz nichts mitgekriegt?« fragt der Vorsitzende Richter ungläubig. »Das is halt so«, nuschelt der Zeuge und schaut ihn mit trüben Äuglein an. usche

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