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Sturmlauf der wilden Kerle

Fußball-Europacup: VfB Stuttgart trotz des 1:4 in Leeds weiter  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) — In der Schlußphase warf Christoph Daum alles nach hinten. Die Stürmer Fritz Walter und Maurizio Gaudino mußten vom Feld, und der Trainer des VfB Stuttgart stellte nur noch nach Körpergröße auf. Der 1,93 m- Mann Jovica Simanic wurde in den Strafraum beordert, um dort gemeinsam mit Buchwald und Dubajic die hohen Flanken wegzuköpfen, die die Spieler von Leeds United unaufhörlich vor das VfB-Tor schlugen. Von der ersten Minute an hatte Leeds das Tor der Schwaben, die das Hinspiel 3:0 gewonnen hatten, mit einer Wucht berannt, die jedem Wirbelsturm zur Ehre gereicht hätte. Im Sekundentakt beförderten die beiden schottischen Mittelfeld-Dampframmen Gordon Strachan und Gary McAllister den Ball dorthin, wo es für die Stuttgarter am gefährlichsten war, in die Nähe des Elfmeterpunkts. Da lauerten wechselweise die brachialen Angreifer Cantona, Chapman und Speed, oder alle drei gleichzeitig, und trieben Torhüter Eike Immel den Angstschweiß auf die Stirn.

26.000 Zuschauer im Stadion an der Elland Road waren vom Amoklauf ihres Teams begeistert und verwandelten die Arena tatsächlich in jenes Inferno, vor dem Daum und VfB-Manager Dieter Hoeneß zwei Wochen lang beharrlich gewarnt hatten. Schon nach fünf Minuten hatte McAllister drei dicke Chancen vergeben, in der 9. Minute hatte dann Fritz Walter die Möglichkeit auf dem Fuß, die Partie in ruhigere Bahnen zu lenken. Bei einem Konter befand er sich plötzlich mutterseelenallein in der von allen Abwehrspielern verlassenen Hälfte des englischen Meisters und strebte einsam auf Torwart Lukic zu, den er im Hinspiel gleich zweimal verladen hatte. Diesmal aber war Lukic, wie alle seine Mitspieler, um Klassen besser als im Neckarstadion, wehrte den Schuß ab, und das Leeds-Furioso ging weiter. In der 18. Minute war es Gary Speed, der den Ball auf Vorlage von Cantona volley ins Netz setzte und dem Mut der Verzweiflung erste Hoffnungsschimmer an die Seite stellte.

Dann fiel das 1:1. Andreas Buck versuchte in der 33. Minute, da sich niemand anbot, ein Schüßlein, der Ball rutschte dem Abwehrspieler Whyte durch die Beine und trudelte knapp neben dem Pfosten ins Tor. Der Leedser Spielwut tat das keinen Abbruch, und als Guido Buchwald, der partout nicht einsehen will, daß es verboten ist, die Gegenspieler schraubstockartig mit den Armen zu umklammern, ebendies mit Chapman tat, verwandelte McAllister den fälligen Elfmeter zum 2:1 (38.).

In der zweiten Halbzeit ging die muntere Torejagd weiter, der VfB kam kaum noch aus seiner Hälfte, und Cantona (65.) sowie Chapman (79.) bauten die Führung auf 4:1 aus. Nun fehlte Leeds noch ein Tor zum Weiterkommen, doch mit viel Dusel überstand der VfB die letzten zehn Minuten plus zwei Minuten Nachspielzeit. Beim Schlußpfiff sanken McAllister und seine wilden Kerle erschöpft und desillusioniert auf die Knie und ließen sich von ihren trotz des Scheiterns hellauf begeisterten Fans feiern.

„Leeds ist eindeutig der moralische Sieger“, gab auch Christoph Daum zu, „es ist nicht die bessere Mannschaft weitergekommen, sondern die glücklichere.“ Sein englischer Kollege Howard Wilkinson hatte auch nach den dramatischen neunzig Minuten nichts von seiner Noblesse und Süffisanz eingebüßt. Auf deutsch verabschiedete er sich von Daum: „Auf Wiedersehen, mein Herr, und viel Glück.“

VfB Stuttgart: Immel - Dubajic - Schäfer, Buchwald - Buck, Strunz, Sverrisson, Kögl, Frontzeck - Gaudino (83. Simanic), Walter (80. Knup)

Zuschauer: 26.000

Tore: 1:0 Speed (18.), 1:1 Buck (33.), 2:1 McAllister (38./Foulelfmeter), 3:1 Cantona (65.), 4:1 Chapman (79.)

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