: Zauberer an der Emscher gesucht
Die Kritik an der Internationalen Bauausstellung Emscherpark schwankt zwischen maßlosen Angriffen und zutreffenden Argumenten ■ Von Walter Jakobs
„Als wir das IBA-Memorandum gelesen haben, da haben wir gesagt, das ist genau das, was wir suchen.“ „Wir“, das waren die rund 80 MieterInnen der Von-der- Korte-Düppe-Siedlung in Herne, deren Häuser dem Bagger zum Opfer fallen sollten. Wenn schon der Abriß nicht zu verhindern war, dann wollte die eingeschworene Gemeinschaft wenigstens die Chance, in einer neuen Siedlung wieder gemeinsam leben zu können. Die Internationale Bauausstellung Emscherpark kam da gerade recht. Inzwischen steht die neue „Siedlung Teutoburgia“, und Ingrid Solfrian vom Mieterrat zog am Samstag während des Kongresses „IBA Inspektion von Unten“ Bilanz. Wurden die Ziele der IBA, ökologisch zu bauen — bei gleichzeitiger intensiver Einbeziehung der MieterInnen in den Planungs- und Bauprozeß —, erreicht? Die Teilnahme am IBA-Projekt bereut Ingrid Solfrin nicht, „aber einiges ist auf der Strecke geblieben“. Gegenüber dem Bauherrn, in diesem Fall der VEBA-Wohungsgesellschaft, sei die IBA oft „zu zaghaft und zu sanft“ aufgetreten. So kämpften die MieterInnen vergebens für eine ökologische Warmwasserversorgung — am Ende stand der Durchlauferhitzer. Statt der gewünschten Holzfenster gab es welche aus Kunststoff. Der Grund liegt für Ingrid Solfrian auf der Hand: „Die VEBA hat ein Tochterunternehmen, das Kunststoffenster herstellt.“ Letztlich akzeptierte die IBA auch die Kunststoffenster — „weil die recycelbar sind“. Bei anderen Konflikten hatten die MieterInnen mehr Erfolg. „Wir sind einzeln jeden Baustoff durchgegangen, und dann ist das eingesetzt worden, was wir wollten.“ Von oben, so ihr Fazit, komme „nichts“. Die Neubürger Teutoburgias sind „alles in allem zufrieden mit dem Resultat“.
Das ist beileibe nicht immer so. Viele Initiativen aus dem Wohnungs-, Verkehrs- oder Beschäftigungsbereich, aus Planer- und Umweltgruppen werfen der IBA vor, ihre eigenen Ansprüche nicht ernst zu nehmen und sie dem „politisch- ökonomischen Filz im Ruhrgebiet zu opfern“. Für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen in der Region, so die „IBA von Unten“-Mitarbeiterin Brigitte Karhoff, „ändert sich nichts“. Die IBA löse weder das Altlastenproblem noch biete sie Antworten im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit. Für den Soziologen Klaus Schmals, der am Dortmunder Institut für Raumplanung lehrt, steht ebenfalls fest, daß die IBA „sich immer weiter von ihren Zielen entfernt“. Sie sei eher „staats- und kapitalnah denn bürgernah“. Schmals geißelt den technokratischen Machbarkeitswahn. Möglicherweise täte Kritikern wie Schmals aber eine Prise „Machbarkeitswahn“ ganz gut, denn wer von der IBA verlangt, gleichzeitig Lösungen für die Kontaminations-, Arbeitsplatz-, Müll- und Verkehrsprobleme der ganzen Region aufzuzeigen, überfordert offensichtlich eine Institution, die der Zauberei nicht mächtig ist. Zu Recht hat der am Samstag auf dem Essener Kongreß anwesende Zukunftsforscher und IBA-Direktor Rolf Kreibich solche Kritik scharf zurückgewiesen. Nach dem Schmals- Vortrag hatte Kreibich den Eindruck „Wir sind die Götter auf dem Olymp — Landes-, Bundes- und Weltregierung in einem“.
Tatsächlich sind die Ziele der IBA bescheidener. Man will anregen, initiieren — aber maßt sich nicht an, den Wandel der Region allein zustande bringen zu können. IBA-Chef Ganser verfolgt bei den Altlasten einen pragmatischen Kurs. Er glaubt, daß „es manchmal klüger ist, auch ökologisch vernünftiger“, manche Altlasten „sozusagen in einer Art bewachter Kleindeponie an Ort und Stelle liegen zu lassen und drumherum zu bauen“. Unter der Bedingung, daß man wisse, was die Gifte „veranstalten, ob sie ins Grundwasser gehen, ob sie ausgasen oder ob man Kontaktgifte aufnehmen kann“. Diese Strategie kann man gewiß kritisieren, doch wenn man — wie die IBA — über bis zu 70 bis 90 Prozent kontaminierte Flächen verfügt, sind der Wiederherstellung von jungfräulichen Böden technische und ökonomische Grenzen gesetzt. Der Vorwurf, die IBA unterstütze die „bürgerschaftlichen Gruppen“ nicht ausreichend und orientiere sich — etwa bei den Wohnungsprojekten — an den oberen zwei Dritteln der Gesellschaft, trifft dagegen ins Schwarze. Daß es weder Wohnungsprojekte für Obdachlose noch für Asylbewerber gibt, dokumentiert für den Bochumer Fachhochschullehrer Michael Krummacher diese Orientierung. In den Gremien der IBA seien die Betroffenen „strukturell benachteiligt“.
Diese mangelnde Unterstützung läßt sich für „IBA von Unten“-Sprecherin Ulrike Heck auch an Zahlen ablesen. Von den zunächst eingereichten 400 Projektvorschlägen stammten 160 von Initiativen. Nur einer schaffte den Sprung in die Kategorie eins und wird jetzt realisiert. Glaubt man IBA-Direktor Kreibich, dann konnten die meisten dieser Projekte wegen der ungesicherten Finanzierung die Hürden nicht nehmen. Daß die IBA-Qualitätsstandards oft unterlaufen werden, räumt Kreibich ein. Gerade deshalb sei die Kritik von außen wichtig. Den in Essen versammelten KritikerInnen machte Kreibich das Angebot, Projekte gemeinsam anzugehen. Die IBA, so seine realistische Einschätzung, „muß natürlich geschubst werden“.
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