: Nachschlag
■ Pygmalion mitverändert
Jurek Fedorowicz ist ein hervorragender Schauspieler. Seit 1991 führt er in Nowa Huta, einer ehemaligen Trabantenstadt, die zu einem Bezirk von Krakau geworden ist, das Volkstheater. Nowa Huta und das größte Stahlwerk Polens war als sozialistisches Gegengewicht gegen die reaktionäre Stadt Krakau gedacht. Auch das Volkstheater hat verschiedene Zeiten erlebt: mit dem Avantgardisten Jozef Szajana, mit den aufrechten Linken Krystyna Skuszanka und Jerzy Krassowski, aber auch mit dem rechtsnationalen (in kommunistischer Verkleidung, wie damals alles) Ryszard Filipski als Intendanten.
Fedorowicz hat sehr gut angefangen, mit jungen Schauspielern, mit seinen Kollegen aus dem Krakauer Stray Teatr, die ihn als Regisseur unterstützt haben. Er gewann das Publikum und die Kritik. Der sozial seit eh und je kaputte Bezirk hat jedoch zu viel frustrierte und aggressive Jugend, damit alles reibungslos gehen könnte. Die Busse wurden kaputtgemacht, das Publikum belästigt, die Punks und andere Gruppierungen verhielten sich aggressiv gegenüber der etablierten Institution. Vor etwa einem Jahr entschloß sich Fedorowicz, mit ihnen zu reden, und — da er wahrscheinlich richtig vermutet hatte, daß er sie nicht besiegen kann — sie für das Theater zu gewinnen. Der erste Gedanke war also instrumental und egoistisch. Aus mehreren hundert Kandidaten hat Fedorowicz einige Dutzend — darunter auch Skinheads — ausgewählt und mit ihnen angefangen, Shakespeares »Romeo und Julia« zu proben, auf 80 Minuten reduziert. Diese Bühnenproben seien die schwerste Arbeit seines theatralischen Lebens gewesen, sagt er, doch der Pygmalion in ihm war stärker als seine Zweifel, ob man aus diesen jungen Menschen (15 bis 21 Jahre alt), die teilweise seit Jahren im Konflikt mit ihren Eltern, mit dem Gesetz, mit der normalen Welt standen, eine Theatergruppe bilden kann. Das Psychodrama ist auf dem einfachen Prinzip Capuletti/Montechi = Punks/Skinheads aufgebaut. Als Mittel werden sehr stark die Musik und der Tanz (Pogo) eingesetzt. Für diese Laien erwiesen sich die geplanten achtzig Minuten als nicht praktikabel: zuviel Text auswendig lernen, zu lange Disziplin halten sind sie offenbar noch nicht in der Lage, das Stück dauert drei Viertelstunden.
Am Montag und Dienstag hat Fedorowicz mit seiner Truppe in der Kulturbrauerei gastiert. Zu Störungen kam es nicht. Aber seit vergangenem Donnerstag, dem 1. Oktober, weiß Fedorowicz, daß es doch nicht nur um Spiel auf der Bühne geht. An diesem Tag war die Probe viel kürzer gewesen als vorher angenommen: alle waren einfach sehr konzentriert und gut drauf, man brauchte nicht allzu viele Male zu wiederholen, und so kam es, daß die Schauspieler etwa um acht Uhr rausgegangen sind. Fünfhundert Meter weiter wurde um zehn Uhr ein deutscher Fernfahrer ermordet. Nach intensiver Fahndung hat es die Polizei geschafft, die mutmaßlichen Täter festzunehmen, keiner von ihnen gehört zur Truppe. Aber Jurek Fedorowicz, den Ingenieur der Seelen, hat es erwischt: der 45jährige fühlte sich in dieser einen Nacht wie ein verratener Vater; die Rechnung mit der Freundschaft, gemeinsamer Arbeit, Freude am Theater schien nicht aufzugehen. Auch sein Leben hat sich verändert, und der nächste Schritt darf nicht ausbleiben. Jetzt diese jungen Menschen mit dem Gefühl des Erfolgs und einer nicht auf dem Haß aufgebauten Zusammengehörigkeit zu verlassen würde einem Verrat gleichkommen und könnte fatale Folgen haben. Es kann sein, daß die, die gestaltet werden sollten, zu Gestaltern wurden und die weitere Karriere ihres Chefs bestimmten. Piotr Olszowka
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