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Größter Binnenmarkt der Welt

Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) wird heute unterschrieben/ Die Ratifizierung durch die Parlamente ist aber noch nicht sicher  ■ Von Keno Verseck

Berlin (taz) — In feierlichem Rahmen werden heute die Handelschefs aus Kanada, den USA und Mexiko im texanischen San Antonio ihre Federhalter zücken und den Vertrag über die nordamerikanische Freihandelszone unterschreiben. Ihre Regierungschefs blicken ihnen dabei wohlwollend über die Schultern.

US-Präsident George Bush hatte bereits den Anbruch einer „großen neuen Ära“ verkündet, als der „historische Pakt“ im August ausgehandelt war. Die Wirtschaften der drei beteiligten Länder würden künftig nur so sprießen und gedeihen, verkündete er im Rosengarten des Weißen Hauses, einem Ort, dessen Allegorie ganz seinen euphorischen Ankündigungen entsprach.

Aber bevor das 2.000 Seiten umfassende Vertragswerk in Kraft treten kann, muß es noch von den Parlamenten der einzelnen Staaten ratifiziert werden. Geschieht das tatsächlich, wird die Nafta- Zone ab 1994 mit 360 Millionen Menschen und einem addierten BSP von fast 6.500 Milliarden Dollar den größten Handelsblock der Welt bilden.

Dennoch werden 15 Jahre verstreichen, bis der gemeinsame Binnenmarkt vollständig in Kraft tritt. In dieser Zeit sollen stufenweise rund 20.000 Zölle sowie Quoten und Einfuhrlizenzen abgebaut werden. Daß es überhaupt soweit kommt, steht allerdings in Frage. Je mehr derzeit von dem Vertragstext an die Öffentlichkeit dringt, desto größer wird das Lager der Nafta-Gegner. Die haben sich vor allem im amerikanischen Kongreß zu einer mächtigen Opposition formiert.

Achtzehn Monate zäher Verhandlungen waren der Einigung über den Nafta-Vertragstext vorausgegangen. Bush hatte angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen auf einen schnellen Abschluß gedrängt. Die Nafta, so seine Vorstellung, könnte im November wichtige Stimmenprozente einbringen. Berater hatten dem Präsidenten nämlich ausgerechnet, daß nach Schaffung der Freihandelszone unterm Strich 130.000 neue Arbeitsplätze entstehen würden.

Langfristig beabsichtigt die amerikanische Regierung mit der Nafta, festere Beziehungen in Zentral-und Lateinamerika zu knüpfen und ihren Einfluß wiederzugewinnen. Gleichzeitig ist die Freihandelszone eine Antwort auf EG- Integrationsbemühungen, denen die USA etwas entgegensetzen wollen. Bush erhofft sich von der Nafta außerdem eine erhöhte Konkurrenzfähigkeit gegenüber Japan und einen Exportboom, der die rezessionsgeplagte Wirtschaft ankurbeln soll. Ähnliches gilt für Kanada, das mit den USA bereits 1989 ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hatte.

Für Mexiko geht es nach den Worten seines Präsidenten Carlos Salinas de Gotari um den „Sprung eines Schwellenlandes in die Erste Welt“. Ein diesbezügliches Reformprogramm hatte Salinas de Gotari schon bei seinem Amtsantritt im Dezember 1989 initiiert. Den endgültigen Durchbruch soll nun die Freihandelszone bringen, die Mexikos durch umfangreiche protektionistische Maßnahmen bislang weitgehend abgeschirmte Industrie konkurrenzfähig machen soll. Das gilt nicht nur gegenüber Importwaren, sondern auch gegenüber ausländischen Investoren, die Salinas de Gotari massiv ins Land geholt hat. Im Zuge des Abkommens rechnet Mexiko mit einem sechsprozentigen Wirtschaftswachstum — fast doppelt soviel wie bisher — und 600.000 neuen Arbeitsplätzen. Seine Hoffnungen setzt das Land dabei vor allem auf die niedrigen Lohnkosten, mit denen US- und kanadische Industrien nicht konkurrieren können.

Nafta-Gegner bestreiten allerdings solche Prognosen. Nach ihrer Meinung wird das Freihandelsabkommen nicht nur keinen Aufschwung zur Folge haben, sondern den Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige. In Kanada hat schon das 1989 mit den USA abgeschlossene Freihandelsabkommen FTA die Rezession verschlimmert, und viele Kanadier können sich mit der Nafta daher nicht anfreunden.

In den USA sind es vor allem die Auto- und Textilindustrie sowie die Farmer, die im Verein mit den oppositionellen Demokraten Widerstand angekündigt haben. Letztere warnten Bush in den vergangenen Wochen bereits eindringlich davor, die Nafta als Wahlkampfthema zu instrumentalisieren. Andernfalls, so Kongreßabgeordnete der Demokraten, werde man das Abkommen zu Fall bringen.

Beschäftigte in der US-amerikanischen Auto- und Textilindustrie befürchten nach Inkrafttreten der Nafta eine massenhafte Abwanderung von Produzenten in das Billiglohnland Mexiko, während Unternehmer der Branche ihrerseits kritisieren, daß Mexiko zum Sprungbrett für asiatische Firmen werde, die über das mittelamerikanische Land auf den US- amerikanischen Markt drängen wollten. Dadurch könnten nach Schätzungen 150.000 bis 500.000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Der massivste Protest war schon im Vorfeld von den US-Farmern laut geworden. Ihnen räumt der Vertrag jedoch eine fünfzehnjährige „Gnadenfrist“ ein, innerhalb derer die mexikanischen Landwirte den Export von Produkten wie Zucker, Früchte und Gemüse nur schrittweise ausweiten dürfen.

In Mexiko wiederum, das bei dem Abkommen die meisten Konzessionen machen mußte, fühlen sich neben der Textilindustrie und der Landwirtschaft vor allem die Petrochemie, die Zement- und Elektroindustrie, die Fluggesellschaft und der Bankensektor betroffen. Sie konnten dank jahrzehntelangem Protektionismus bequem existieren und sind nun der Konkurrenz aus dem Norden ausgesetzt. Prophezeit Präsident Salinas de Gotari für 1994 eine lange Gewinn- nach kurzer Schmerzphase, so sehen die betroffenen Branchen die Nafta als lange Schmerzphase mit anschließender Pleite. Beispiel: der bisher völlig abgeschirmte Bankensektor, der nach Einführung des gemeinsamen Marktes erstmals für Finanzinstitute aus Kanada und den USA offen ist.

Der empfindlichste Bereich des Abkommens betrifft auch in Mexiko die Landwirtschaft, die sich über fünfzehn Jahre hinweg hauptsächlich auf US-amerikanische Mais-, Bohnen- und Milchpulverexporte einstellen muß. Die mexikanische Regierung will diese Produkte zwar indirekt subventionieren, befürchtet wird jedoch, daß dies nur den wenigen Großbauern zugute kommt.

Proteste gab es nach Abschluß der Nafta-Verhandlungen auch von Staaten, die nicht am Freihandelsabkommen beteiligt sind. Japan und andere asiatische Länder kritisierten in scharfer Form nicht nur weitere Importrestriktionen nach 1994, sondern auch die Vertragsklausel, nach der Nicht-Nafta- Unternehmen Zulieferer aus den Nafta-Staaten finden müssen, falls sie in einem der drei Länder Firmen aufbauen. Mittel- und lateinamerikanische Staaten, für die eine Beteiligung an der Nafta vorteilhaft wäre, bemängeln daß der Vertrag keine Möglichkeit eines Anschlusses zuläßt. Die größten Sorgen dürfte das Freihandelsabkommen aber den karibischen Staaten verursachen, die nahezu völlig abhängig vom US- und kanadischen Markt sind. Sie richteten bereits eine Petition an die US-Regierung, in der sie um die Sicherung ihrer bisherigen Vergünstigungen baten. Protestierend meldeten sich auch die Europäer zu Wort. Die EG, sonst nicht faul, ihren eigenen Wirtschaftsraum gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten, äußerte jetzt hingegen generelle Bedenken gegenüber Protektionismus und geschlossenen Wirtschaftsblöcken.

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