: Wenn der Biker zweimal klingelt
■ Fahrrad-Kuriere nehmen in Bremen den Kampf gegen die Autos auf
Wenn der Biker zweimal klingelt
Fahrrad-Kuriere nehmen in Bremen den Kampf gegen die Autos auf
Vom Schnoor zum Stern und wieder zurück in neun Minuten und 46 Sekunden. Auf dieses Rekordergebnis brachte es der schnellste Kurier des Bremer Fahrrad-Express, als die Firma im letzten Jahr ein internes Rennen veranstaltete. 100 bis 120 Kilometer legen die professionellen Fahrrad-Boten pro Schicht zurück und erreichen dabei Durchschnittsgeschwindigkeiten von gut dreißig Stundenkilometern. In Bremen, der Stadt der Staus, sitzen Fahrrad- Kuriere fest im Sattel.
Christine und Jürg Diegritz haben mit ihrem Fahrrad-Express vor vier Jahren angefangen. Das „Startkapital“ war ein Telefon im Wohnzimmer, ein handelsübliches Fahrrad und die eigene Oberschenkelmuskulatur. Mittlerweile beschäftigt der Fahrrad-Express 13 Fahrer, die von einem Büro in der Herdentorswallstraße über City-Funk zur Kundschaft dirigiert werden. „Für uns stand die ökologische Idee im Vordergrund“, erinnert sich Christine Diegritz an die Anfangszeit. Geld verdienen „und dabei noch in den Spiegel gucken können“ war die unternehmerische Devise: Leben ohne und gegen die Autos. Heute sind die Pioniertage der Fahrrad-Kuriere längst um. „Die Geschäftsleute in der Innenstadt brauchen nur aus dem Fenster zu gucken, da wissen sie, wo die Autos stecken, auf die sie warten“, sagt Jürg Diegritz. Während die Staus in Bremen zum Alltag gehören, fiel der Express nur zweimal in vier Jahren aus: Einmal, „als ein Orkan auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke eine Laterne hinter mir auf die Straße drückte“, ein zweitesmal, als Schneeverwehungen jedes Fortkommen mit dem Rad unmöglich machte. Der Kurierjob hat so seine Tücken. „Ich hatte mal ein Peugeot-Rad“, erinnert sich Diegritz, „bis auf die Pedalen ist dort jedes Teil mehrmals ausgewechselt worden.“ Die Räder werden über Gebühr strapaziert, Gabel- und Lenkradbruch gehören zu den Erfahrungen jedes Kuriers.
Ganz anders als der Fahrrad- Express geht der Radkurier Sprint hier in Bremen an den Start. Erst Anfang des Monats haben Peter Kurtz und Oliver Schürmann ihre „Sprinter“ in Bremen auf Tour geschickt, und dabei gleich in modernste Ausrüstung investiert. Mit Handfunkgeräten jagt der „Dispatcher“ seine Fahrer durch die Hansestadt, die Logistik wird von einem Computerprogramm gesteuert. Die „Biker“ haben schwere Mountain-Räder und eine auffällige Arbeitskluft in den Farben schwarz und orange. „60 Prozent des Innenstadtverkehrs ist Geschäftsverkehr“, sagt Peter Kurtz, „und von diesem gewaltigen Kuchen wollen wir uns ein Stück abschneiden.“ Auch die Sprinter verstehen sich in erster Linie als Konkurrenz zu den Auto-Kurieren. „Wir wollen uns nicht groß öffentlich auf unsere grünen Seelen berufen, aber gegen die Autos anzustinken und dabei Geld zu verdienen, das macht einfach Spaß“, sagt ein Sprinter. Etwa 100 Touren muß der Laden pro Tag akquirieren. Schürmann: „Kein Problem: Fahrrad-Kuriere sind im ganzen Land gut eingeführt.“
Zwischen acht und zwanzig Mark liegen die Kurse für eine bestellte Kurierfahrt. Beide Unternehmen berechnen die Anfahrt nicht und liefern innerhalb Bremens zwischen Flughafen und Universität aus. Zum Schutz der Fracht werden druckfeste und wasserdichte Spezialrucksäcke verwendet. Fahrer und Fracht sind versichert, Bargeld, Schmuck oder Antiquitäten werden nicht gefahren.
Die Markt- und Verkehrslücke bei den Fahrrädern erkennen immer mehr Großunternehmen. Auf einem Bundestreffen der Fahrrad-Kuriere am letzten Wochenende in Köln wurde über Verhandlungen mit der Deutschen Bundesbahn bekannt, die ihren IC-Kurierdienst mit den lokalen Fahrrad-Kurieren ergänzen wollen. Aus anderen Großstädten werden frohlockend 60 (Köln) oder gar 100 (Berlin) Boten gemeldet. „Bremen ist für so etwas die richtige Stadt“, sagt Oliver Schürmann. Jürg Diegritz bestätigt: „Die autofreien Innenstädte werden kommen, und dann sind wir schon da.“ Markus Daschner
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen