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■ Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Rupert von Plottnitz, zur Innenministerkonferenz„Selbstmord aus Angst vor dem Tod“

taz: Am Freitag soll eine Sondersitzung der Innenministerkonferenz auf Drängen der Bundesregierung „grünes Licht“ für eine Verschärfung bestehender Gesetze signalisieren und für eine Renaissance des alten Landfriedensbruch-Paragraphen im Strafgesetzbuch sorgen — alles vor dem Hintergrund der anhaltenden rechtsradikalen Ausschreitungen gegen AusländerInnen.

Rupert von Plottnitz: Seit mehr als einem Jahr gibt es in diesem Lande Terror von rechts. Erst jetzt fällt es den Beteiligten offenbar ein, daß Anlaß zu Sondermaßnahmen besteht, denn diese Innenministerkonferenz ist eine Sonderkonferenz. Es gibt aber Anlaß zu der Befürchtung, daß auf dieser Konferenz die gleiche Stümperei beginnt, die in der Asyldebatte bereits mehr als nur politisches Porzellan zerschlagen hat. Innenminister Seiters will das Versammlungsrecht verschärfen — und es geht ihm um den Landfriedensbruch. Aber was hat die rechtsradikale Gewalt in Rostock und anderswo mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu tun? Die neonazistischen Schläger wären doch die ersten, die Herrn Seiters zustimmen würden, wenn es um die Abschaffung des Demonstrationsrechtes geht.

Die Rechten scheinen in jüngster Zeit allerdings auch Geschmack am Demonstrieren gefunden zu haben...

Das sind keine Demonstrationen, sondern öffentliche Aufmärsche zum Zwecke der Begehung von Straftaten. Wenn die Rechtsradikalen in einem Land, in dem fünf Millionen Ausländer leben, „Ausländer raus!“ schreien, dann ist der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Und wenn die Neonazis ungeniert den Hitlergruß zeigen, dann erfüllt das den Straftatbestand des Paragraphen 86a StGB — Verbot nazistischer Kennzeichen und Symbole. Das passiert alles, ohne daß dort ein Staatsanwalt oder auch nur ein Polizist einschreitet. Wo leben wir hier eigentlich?

Sie glauben also, daß eine strikte Anwendung der bestehenden Gesetze ausreicht, den Rechtsradikalismus wirkungsvoll zu bekämpfen?

Richtig. Es gibt aber zudem ein völlig ungeklärtes und ungelöstes Rätsel: Die Bundesrepublik verfügt über eine Behörde, die sich Generalbundesanwalt nennt. Diesem Generalbundesanwalt hat der Gesetzgeber sehr spezielle und besondere Befugnisse eingeräumt, wenn es um die Abwehr strafrechtlich relevanter Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat geht. Dieser Generalbundesanwalt hat sich ja in den 70er Jahren als sehr bereitwillig erwiesen, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen— als es darum ging, linksterroristische Aktivitäten zu bekämpfen. Heute erleben wir trotz der widerwärtigsten Gewaltexzesse mit Straftaten, bei denen auch vom Tötungsvorsatz ausgegangen werden muß, einen Generalbundesanwalt, der die Hände in den Schoß legt. Fazit: Solange die bestehenden Gesetze nicht angewendet werden, kann überhaupt keine Rede davon sein, daß diese Gesetze verschärft werden müßten.

Welche Maßnahmen würde denn ein Generalbundesanwalt von Plottnitz einleiten?

Er würde ins Gesetzbuch schauen und feststellen, daß es da eine Vorschrift namens 120 Gerichtsverfassungsgesetz (GvG) gibt, die ihm erlaubt, auch dann einzuschreiten, wenn nicht der Verdacht auf ein Organisationsdelikt einer terroristischen Vereinigung vorliegt. Der Generalbundesanwalt kann und soll auch dann einschreiten, wenn durch Straftaten wie Mord, Totschlag und schwere Brandstiftung Menschen in Lebensgefahr gebracht werden und dadurch gleichzeitig der demokratische Rechtsstaat und seine Verfassungsgrundsätze in Gefahr gebracht wird. Ein Generalbundesanwalt, so wie ich ihn mir vorstelle, hätte nach den Pogromversuchen von Rostock sofort die Ermittlungen an sich gezogen — auch deshalb, weil gerade in den neuen Bundesländern die Kriminalpolizeibehörden noch im Aufbau befindlich sind. Der Generalbundesanwalt hat nämlich auch die Möglichkeit, das Bundeskriminalamt mit all seinen Ermittlungsmöglichkeiten einzusetzen. All das geschieht nicht. Warum es nicht geschieht, darüber kann man nur spekulieren: Entweder fehlt es an politischer Klarsicht — und das wäre schlimm. Möglicherweise ist es aber auch so, daß der Generalbundesanwalt noch auf die alten Feindbilder aus der alten Bundesrepublik eingeschworen ist.

In Konfrontation mit den „alten Feindbildern“ ist die Debatte um eine Verschärfung bestehender Gesetze — etwa die Einschränkung der Versammlungsfreiheit — in der Vergangenheit immer wieder in Szene gesetzt worden. Betreibt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der rechtsradikalen Exzesse nun „Kriegsgewinnlerei“ über die Schleifung des Artikels 16 Grundgesetz hinaus?

Entweder betreibt sie „Kriegsgewinnlerei“ — oder sie demonstriert die alte Hilflosigkeit. In keinem Fall ist es ein vernunftgepflasterter Weg, der da beschritten werden soll. Was zur Zeit in diesem Lande passiert, hat nichts mit dem Versammlungs- oder Demonstrationsrecht zu tun, sondern ist praktizierte barbarische Brutalität.

Nun hat der sozialdemokratische Innenminister Schnoor aus Nordrhein-Westfalen bereits signalisiert, daß man mit der SPD über Einschränkungen der Versammlungsfreiheit diskutieren könne. Nur über die Wiedereinführung des alten Landfriedensbruch- Paragraphen würden die Sozis nicht mit sich reden lassen. Wer soll denn diese Bundesregierung auf ihrem Marsch nach rechts noch aufhalten? Etwa die Grünen?

Solange — von Engholm abwärts — auf alle aberwitzigen Vorschläge der Bundesregierung, vom großen Lauschangriff bis hin zur Verschärfung des Versammlungsrechtes von den Sozialdemokraten mit „Ja und Amen“ geantwortet wird, ist in der Tat die Hoffnung, das alles noch verhindern zu können, nicht sehr groß. Nötig ist jetzt eine öffentliche Debatte. Vielleicht rühren sich dann, ähnlich wie beim Thema Asyl, die Kräfte innerhalb der SPD, die erkennen, daß dort aus Angst vor dem Tod der Selbstmord begangen werden soll.

Wie wird sich denn der hessische Innenminister Günther auf der Sondersitzung am Freitag verhalten?

Sollte er, so wie sozialdemokratische Innenminister in anderen, nicht rot-grün regierten Bundesländern, der Meinung sein, man müsse jetzt Freiheitsrechte einschränken, dann würde er innerhalb dieser Koalition auf verschärften Widerspruch stoßen. Wir werden noch Gelegenheit nehmen, mit Innenminister Günther vor dieser Konferenz zu reden, und ihm unseren Standpunkt klarmachen. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt

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