Sehnsucht nach einem ehrlichen Leben

■ Das Malame-Wohnprojekt holt jugendliche kurdische Kleindealer aus dem Knast

bITTE DEN JUNGEN

im Zimmer

Foto: Jörg Oberheide

Das Zwei-Bett-Zimmer mit Blick auf herbstlich verfärbte Bäume ist picobello aufgeräumt. Auf einer Kommode steht ein Plattenspieler, neben dem Bett liegen, zwei kleine Hanteln. An der Wand hängen Fotos und Postkarten. Die Rede ist nicht von einem englischen Jungenpensionat, sondern von einem Wohnprojekt: Hier leben haft

entlassene kurdische Jugendliche. Bis vor drei Monaten saßen sie in Blockland. Die 16- bis 21-jährigen Jugendlichen wurden von der Bremer Polizei als Dealer festgenommen.

„Vor einem Jahr waren etwa 80 Prozent der Jugendlichen, die dort in Untersuchungshaft saßen, Kurden“, erzählt der Sozialarbeiter Thomas Stapke, einer der Initiatoren des Wohnprojekts. Obwohl in Bremen für Jugendliche das Prinzip der Haftvermeidung gilt, mußten sie in den Knast.

„Die meisten von uns haben keine Verwandten, die vernünftig auf uns aufpassen“, erzählt der 19-jährige Siyar. Früher oder später hätten sie wieder zu anderen Dealern Kontakt bekommen und weitergedealt. Für sie hat die Kurdische Solidarische Hilfe mit Unterstützung des Justizressorts das Haus Mala Me eingerichtet. Mala Me ist kurdisch und bedeutet „unser Haus“.

Der kurdische Sozialarbeiter Abdullbaki Adsiz betreut die Jugendlichen. Mit ihm können sie reden, wenn sie von alten Bekannten aus der Szene wieder um eine „Gefälligkeit“ gebeten werden. „Wir fordern was von den Leuten“, sagt Thomas Stapke: „Sie leben hier in einer Gemeinschaft, müssen aufeinander achten und offen mit uns reden, wenn sie Probleme haben. Diese Auseinandersetzung kann nur Adziz führen. Ein Deutscher könnte das nicht.“ Mit Drogen darf keiner, der in Mala Me wohnt, wieder etwas zu tun haben. Wollen sie auch nicht, wie Siyar betuert: „Ich will ehrlich und vernünftig leben wie früher.“ Bevor er nach Deutschland kam, hatte Siyar noch nie etwas von Heroin gehört: „Meine Eltern haben mir gesagt, ich soll keinen Alkohol trinken, nicht stehlen und keine Frauen belästigen, aber sie haben nie gesagt, du sollst nicht dealen.“

Eine strenge Hausordnung herrscht in Mala Me. Auch die „Heranwachsenden“, wie die über 18-jährigen im Juristen-Jargon heißen, dürfen nicht nach 23 Uhr nach Hause kommen. Dinge, die die meisten von ihnen nie gelernt haben, weil zu Hause die Mutter und die Schwester dafür da waren. „Manche haben am Anfang ihre Kleider weggeschmissen, wenn sie dreckig waren“, berichtet Thomas Stapke. Aus Angst, Schweinefleisch zu essen, lehnten sie, als sie nach Deutschland kamen, auch die Mahlzeiten in den Asylbewerberheimen ab und gingen auswärts essen. „Das ist natürlich schweineteuer“, meint Thomas Stapke. Und von der Sozialhilfe nicht zu bezahlen. Bekannte zeigten ihnen, wie man schnell zu Geld kommt und ein feines Leben führen kann.

Die Betreuer in Malame gehen mit den Kurden zum Ausländeramt, wenn die Abschiebung droht und erklären ihnen, worauf sie in ihren Anträgen achten müssen. „In Deutschland hat gleichzeitig mit der Änderung der Asyl- und Ausländerpolitik eine Kampagne gegen kurdische Dealer eingesetzt, deswegen fällt in den Behörden bei unseren Leuten sofort die Klappe“, berichtet Thomas Stapke. „Wenn die Leute nach der Haft abgeschoben werden, ist das eine doppelte Bestrafung.“ Denn zu Hause blieben ihnen nur zwei Alternativen: für die kurdische Regierung und damit gegen ihr eigenes Volk arbeiten oder mit der Guerilla kämpfen. Diemut Roether