»Lager Marzahn«: Ein vergessenes Kapitel des Völkermordes an Sinti

■ Historiker erinnert bei den Sinti-Kulturtagen an NS-Verbrechen/ Bevölkerung begrüßte damals Einweisung

Berlin. Mängel in der Aufarbeitung der Geschichte des nationalsozialistischen Völkermordes an einer halben Million Sinti und Roma hat der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, beklagt. Das »Lager Marzahn«, ehemals Sammelstelle der als »Zigeuner« rassisch verfolgten Minderheit, sei heute fast vergessen. Seinen Beitrag für die »Kulturtage der Cinti und Roma« am Mittwoch abend ergänzte der Zeitzeuge und heutige Vorsitzende der »Cinti Union Berlin«, Otto Rosenberg. Rosenberg war mit neun Jahren Insasse in Marzahn, überlebte neben anderen KZs auch Auschwitz und verlor in der NS-Zeit seine Familie.

Benz bezeichnete das Lager als »erste Station auf dem Weg zum Völkermord« an den Sinti und Roma. Im Sommer 1936, nachdem ein Erlaß »Zur Bekämpfung der Zigeunerplage« durch Reichsinnenminister Wilhelm Frick herausgegeben worden war, wurden etwa 600 Sinti und Roma »am hellichten Tage« mit ihren Wohnwagen in das Lager auf der Höhe des S-Bahnhofes Bruno-Leuschner- Straße am Städtischen Friedhof des Stadtteiles verschleppt. Früher befand sich an dieser Stelle ein Rieselfeld. Anders als bei der Verfolgung von Juden sei diese »Zusammenziehung« der »ernsten Gefahr für die Volksgesundheit« auf Beifall bei den Bürgern gestoßen. Es sei »weniger Tarnung« vonnöten gewesen, meinte Benz.

Die Lebensbedingungen auf dem »Zigeunerrastplatz«, von dem der Großteil der zwangsweise angesiedelten Menschen spätestens im März 1943 in Konzentrations- und Vernichtungslagern der Ostgebiete »überstellt« worden war, beschrieb Benz als katastrophal. Es habe Hunger geherrscht, 1.000 Menschen hätten sich zeitweise mit zwei Toiletten begnügen müssen. Die Insassen seien der Willkür ihrer Aufseher ausgeliefert gewesen. Zudem seien die Sinti und Roma ohne »gültige Rechtsgrundlage« eingesperrt worden, so daß den Opfern »aus formalen und juristischen Gründen« Entschädigungen heute oft versagt blieben, kritisierte der Historiker.

Benz und Rosenberg betonten, daß die Diskriminierung der Sinti und Roma immer noch andauere. Vorurteile über »asoziale und kriminelle Eigenschaften« dieser Volksgruppe lebten weiter. Rosenberg forderte dazu auf, den Angehörigen der Sinti und Roma mit mehr Vertrauen zu begegnen. Er appellierte an die Zuhörer, nicht wegzusehen, wenn Menschen zu Opfern des neu aufkeimenden Fremdenhasses würden. dpa