„Nicht aus Ausländerfeindlichkeit“ getötet

■ Viereinhalb Jahre Haft für einen Ostberliner, der einen Vietnamesen erstach

Berlin (taz) — Die Tat sei „nicht aus Ausländerfeindlichkeit begangen worden“, aber ein „Akt verwerflicher Selbstjustiz“ gewesen. So der Tenor des gestrigen Gerichtsurteils gegen den Mike L., der im April im Ostberliner Plattenbautenviertel Marzahn nach einer Rangelei den 29jährigen Nguyen Van Tu erstochen hatte. Der 22jährige arbeitslose Angeklagte, ein so brav wie unreif wirkender Mitläufer, aber kein Aktivist der rechten Szene, hatte zuvor die Kisten von vietnamesischen Zigarettenverkäufern umgestoßen. Nach dem Motiv gefragt, gab er an, etwas gegen Schmuggel zu haben. Das Gericht schenkte dem Glauben und verurteilte den zur Tatzeit Angetrunkenen wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu viereinhalb Jahren Haft.

Nicht nur diese Wertung sorgte für Unruhe im Zuschauersaal, sondern auch die Einschätzung der Richter, Nguyen Van Tu habe den Angeklagten zuvor „rechtswidrig angegriffen“. Dieser Wertung der Zeugenaussagen konnte keine andere Seite der Prozeßbeteiligten folgen.

In den Plädoyers hatte die Staatsanwältin fünfeinhalb Jahre Haft wegen Totschlags mit bedingtem Vorsatz verlangt. Der Angeklagte habe den Stich in den Lungenflügel mit „erheblicher krimineller Energie“ geführt. Verteidiger Stefan König verlangte hingegen Freispruch oder eine Bewährungsstrafe. Sein Mandant habe nicht aus Vorsatz, sondern im Affekt gehandelt. Die Stichbewegung sei aus einer Körperdrehung heraus gefolgt und keineswegs gezielt gewesen. In einer etwas seltsam anmutenden Denkoperation trennte der Verteidiger die Tat von ihrer Vorgeschichte des Kistenumtretens und kam zum Schluß: „Wenn man in diesem Messerstich eine ausländerfeindliche Tat sehen wollte, müßte man sich in den Bereich des Hypothetischen begeben.“

Margarete von Galen, die den Vater von Nguyen Van Tu als Nebenkläger vertrat, war indes genau davon überzeugt: „Das Motiv war zwar nicht Ausländerhaß, aber Ausländerfeindlichkeit“. Bei der Polizei habe der Angeklagte angegeben, er stehe der rechtsextremen DVU nahe. Die mache wenigstens was gegen Ausländer, die Straftaten — wie das Verkaufen unversteuerter Zigaretten — verübten. Ein Strafmaß wollte sie dennoch nicht nennen, „weil mir die Zustände in der Strafanstalt zur Genüge bekannt sind.“ usche