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Notlügen helfen gegen Wohnungsnot

■ Über Mietauskünfte, Führungszeugnisse und die höchstrichterliche Erlaubnis zu schwindeln

Berlin. Die deutsche Einheit war noch keine zwei Wochen alt, da flatterte den MieterInnen der Häuser Krossener Straße 25 und Gärtnerstraße 10 in Friedrichshain die erste Überraschung ins Haus: »Nachdem es nun wieder ein vereinigtes Deutschland gibt«, schrieben die neuen Privatbesitzer, »ist uns somit die Möglichkeit gegeben, uns ohne Komplikationen wieder selbst um die Belange des Anwesens zu kümmern. Damit wir auch wissen, wer unsere Mieter sind, haben wir einen Fragebogen zusammengestellt. Wir benötigen die Angaben, um uns einen Überblick darüber zu verschaffen, wie viele Personen das Haus bewohnen, wie lange Sie hier wohnen etc.« Solcherlei — überdies illegale — Dreistigkeit ist in Berlin keine Seltenheit mehr. Die vermeintliche Unwissenheit der Ost-MieterInnen läßt manchen Miethai ungeahnte Energien entwickeln, wenn es darum geht, die lästigen Kontrahenten über den Tisch zu ziehen. Freilich nicht immer mit Erfolg. »Die Leute wissen inzwischen sehr gut über ihre Rechte Bescheid«, freut sich Wolfram Kempe vom Prenzelberger Aktionsbündnis »Wir bleiben alle«. »Daß für den Vermieter vor der Wohnungstür das Ende der Fahnenstange ist, hat sich herumgesprochen.« Ist man allerdings erst auf der Suche nach einer Wohnung, so ist gegen Schnüffelei und Vermieterarroganz oft kein Kraut gewachsen. So gibt es Eigentümer, die den Wohnungsbewerber zum Zwecke seiner Ausforschung selbst zur Kasse bitten. 150 DM kann zum Beispiel die im voraus (und selbstverständlich ohne Garantie) zu bezahlende Gage für eine Dedektei kosten, die im Auftrag des Vermieters eine sogenannte Mietauskunft vornehmen soll. Zwar sei, so die Standesorganisation »Ring Deutscher Makler« (RDM) ein solches Gebahren »nicht geschäftsüblich«, ein Mitarbeiter der Bendzko-Immobilien meinte jedoch lapidar: »Sie können zahlen, sie können es aber auch viel besser sein lassen.« Bendzko ist im übrigen Vorsitzender des RDM in Berlin und Brandenburg.

Über schwarze Schafe beklagt sich auch Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein. Seine Forderung: Wenigstens die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen mit gutem Beispiel vorangehen. Ein gutes Paradebeispiel dafür lieferte, ebenfalls kurz nach der Wiedervereinigung, die Köpenicker Wohnungsbaugesellschaft KöWoGe. Wer sich im flächengrößten Berliner Bezirk um eine Wohnung bewarb, hatte sich nicht nur zu Fragen nach Mietschulden, Krediten, Lohnpfändungen und Räumungsprozessen zu äußern — die KöWoGe verlangte darüber hinaus Auskunft über die Vermieter der letzten fünf Jahre. Als die Berliner MieterGemeinschaft daraufhin gegen das, wie sie es nannte, »Führungszeugnis für Mieter« protestierte, zeigte man auch beim Westpartner der KöWoGe die kalte Schulter: »Festzustellen ist«, heißt es in einem Schreiben der GEWOBAG, »daß seit etlichen Jahren Fragebögen in der Wohnungswirtschaft Verwendung finden, ohne daß sich daran aus rechtlicher Sicht Anstoß nehmen ließe. Bei sachkundiger Betrachtung ergeben sich zu diesem Thema keine neuen Gesichtspunkte.« Erst nach zahlreichen weiteren Protesten zog die KöWoGe den umstrittenen Passus zurück. Auf einen Fragebogen wollte man, so die Geschäftsführung, auch weiterhin nicht verzichten.

Daß in solchen Fällen oft nichts anderes bleibt, als das Blaue vom Himmel zu lügen, machte sich Daniela M. zur Devise. Nach drei Monaten Zeitungsralley am Bahnhof Zoo hatte die Finanzsachbearbeiterin einer Kreuzberger Hinterhofklitsche das Glück der Tüchtigen. Über einen Bekannten bekam sie den entscheidenden Tip. Einziger Haken: Der Vermieter suchte eine alleinstehende Person, ohne Kinder und Haustiere. Daniela M. war's recht. Unvermählt und erst im zweiten Monat schwanger, pries sie sich als ideale Mieterin und hatte Erfolg. Einer eventuellen Kündigung sieht sie gelassen entgegen. Schließlich sei frau laut geltender Rechtsprechung nicht verpflichtet »dem angehenden Vermieter Schwangerschaft, Verlöbnis und die Möglichkeit einer Verheiratung zu offenbaren.«

Bundesverfassungsgericht schützt Schwindler

Es soll Zeiten gegeben haben, da in West-Berlin eine Bürgschaft der Eltern dem Vermieter als Referenz von Solvenz genügte. Später dann, die Mauer war noch nicht offen, der Wohnungsmarkt aber schon geschlossen, setzte man sich an den Schreibtisch, stellte sich selbst Verdienstbescheinigungen aus und wunderte sich, wie weit entfernt man war vom durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen des Bundesbürgers. Heute, da Berlin, so Bausenator Nagel, »mit der Wohnungsnot als strukturellem Problem wird leben müssen«, erlauben einem sogar die Gerichte das Lügen, pardon: Schwindeln. Die Würde des Menschen, so das Bundesverfassungsgericht im Juli dieses Jahres, gelte auch im privaten Recht. Sprach's und hob ein Urteil des Landgerichts Regensburg auf, in dem der Kündigung gegen einen Mieter wegen »arglistiger Täuschung« stattgegeben wurde. Selbiger hatte dem Vermieter beim Abschluß des Mietvertrags seine Entmündigung verschwiegen. Uwe Rada

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