Wand und Boden
: Raum und Rahmen für kunstsinnige Dekorationen

■ Kunst in Berlin jetzt: Römische Bäder in Sanssouci, Paternoster im Rathaus und vernebelte Räume in Ost-Berlin

Die eine Sorte Denkmal wird gestürzt, die andere kommt wieder zu Ehren. Folge des politischen Systemwandels der jüngsten Zeit. Bilderstürmer werden die einen genannt, die die Geschichte durch den Abbruch von Denkmälern entsorgen wollen. Bilderstürmer sind aber auch die anderen, die sich mit dem Wiedererinnern vergessener, versteckter und vormals unzugänglicher Denkmäler um Geschichte besorgen. Oder sich nur Raum und Rahmen für mehr oder weniger kunstsinnige, sinnfällige Dekorationsarbeiten wünschen? Gabriele Henkel jedenfalls erfand sich Schinkels Römische Bäder im Park Sanssouci neu. »Col lume d'un sorriso«, Fragmente der Sehnsucht, benannte sie altmodisch-sentimental ihr Unternehmen, das Baudenkmal mit von ihr inszenierten Bildern zu bespielen. Nicht, daß sonderlich aufregend wäre, was zu sehen ist, aber teilweise entbehrt es nicht des Charmes. So ein Tableau mit Miniatur- Vespa in einem der Innenräume der Villenanlage. Oder im umgebenden Gewässer »versenkte« venezianische Gondeln, die durch ihre aufgepflanzten so charakteristischen Vordersteven markiert sind. Ein neonblaues Lichtquadrat legte sie in den Teepavillon, der der Restaurierung harrt. Preußischer Südgedanke auf den strahlend stahlblauen, azur-bröckelnden Pavillonwänden. Auch Vernissage-Gast Philip Johnson war angesichts dieses Blaus verblüfft. Immerhin auch er, der Architektur-Altmeister, sah die Römischen Bäder zum ersten Mal von innen.

Bis 25. Oktober, Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Charlottenhof, Römische Bäder.

Italianità auch bei Carola Mösch. Parallel zu seiner Retrospektive in der Nationalgalerie wird Sandro Chia hier als Grafiker vorgestellt. »Et In Arcadio Ego« ist ein »Portfolio mit 8 Radierungen auf Kupfer« von 1991 betitelt. Das klingt wie 'Parfait vom Täubchen auf Blattgemüsen mit Aromaten gebraten‘. Nun gut, edel geht die Welt vor die Hunde. Und so zuletzt ein wenig auch Chia. Daß die Londoner Saatchi-Brüder zu Beginn der letzten Dekade ihn als Maler ihrer Wahl gleich en gros kauften, seinen Preis nach oben trieben, um ihn dann en gros wieder abzustoßen, was den Preis erst einmal ins Bodenlose fallen ließ, ist nicht unbedingt seiner Kunst als Fehler anzulasten. Diese zeigt sich in den Lithographien und Radierungen mit leichter Hand gekonnt, figurativ und traditionsbezogen auf die italienische Moderne des Futurismus ebenso wie der Pittura metafisica. Oft sind die großformatigen Lithographien und Radierungen collagiert, es gibt das Bild im Bild, eine große Figur wird ergänzt um das eingefügte Blatt eines kleinen Potraitkopfs. Rote Münder und ebensolche Herzen sind aus Buntpapier ausgeschnitten und eingeklebt. Sanfte bis kräftige, aber immer gedeckte Farbtöne tauchen die schwarzen und schwarz-braunen Schraffuren der Radierungen in Farbigkeit. Das ist sehr elegant, weshalb er diesen Speisenkartenton aber denoch nicht verdient. Von seinem Preissturz hat sich Chia zwischenzeitlich erholt. Selbst in Arkadien verweilen zu dürfen kostet runde 30.000 Mark.

bis 31. Oktober, Pariser Straße 2, Di.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr

Nicht mediterranes Blau, sondern dunstiges Grau zeichnete Freie Praxis Via und Pina Lewandowskys Arbeit in der Galerie Vier aus. »Diplopie II«, nach Duden gleichzeitiges Sehen zweier Bilder von einem einzigen Gegenstand, ist die Installation benannt. Die großen Räumlichkeiten der Galerie sind durch zwei Glaswände unterteilt. So ergeben sich drei Räume. Einer ist durch die Eingangstür zu betreten, mit vier Paar Gummihandschuhen läßt sich in den zweiten hineingreifen, der durch eine Fahrt mit dem Fahrstuhl ebenfalls begehbar ist. Erneut gibt eine weitere Reihe Gummihandschuhpaare Zugriff zum dritten Raum, der, mit Paraffinnebel gefüllt, dem Zutritt unzugänglich ist.

Abbildungen aus der Ausstellung »Diplopie I« sind Bestandteil des Handbuchs zur Ausstellung. Modern times, hier sind wir gelandet, zwischen Glas, Gummi, Rauch, medizinischen Zeichnungen einer altertümelnden Manier; mit einem medizinischem Fachbegriff benannt unser Sehen, ist es noch das Unsere? Enteignet sind wir auch unserer Beweglichkeit, die Sehen kognitiv mitkonstituierte in unserer Kindheit. Kein Wunder, daß es entgleist, daß es zweispurig jede Großspurigkeit einbüßt. Irgendwie erwartet man nachgerade, daß auch unser Sprechen in medizinischer Watte versickert, ungehört mit Tupfern gestillt wird.

Bis 24. Oktober, Schwerdterstr. 263, Di.-Fr. 14-19 Uhr, Sa. 11-15 Uhr

America, Columbus In The Elevator heißt das Projekt von Lindy Annis. Die Einladung zur Performance in zwei Paternostern des Rathauses Schöneberg nennt siebzehn beteiligte Künstler, drei davon sind Künstlerinnen, aber in den Paternostern treiben sich dann jede Menge Mädels herum. Und setzen sich bespielsweise mit Fliegenklatschen gegen imaginäre Insekten zur Wehr. Die namenlosen Statistinnen. Irgendwo dächte man ja, so was wäre endlich gegessen. Aber vielleicht zeigte sich hierin der endgültige kritische Sinn von Vater-unser- Columbus? Die Verwendung von Frauen im Kunstbetrieb sinnfällig als kolonialer Gestus vorgeführt. Das Paternoster 3 Projekt inklusive weniger, sehr dicker Männer, ausgestopfter Tiere und Musikrecorder kommt am 10. und 11. Oktober erneut in vertikale Bewegung.

Rathaus Schöneberg, 20-24 Uhr. Brigitte Werneburg