: Giftfreie Pullis für graue Mäuse
Mit unbehandelter und unschicker Kleidung geht Esprit auf Kundinnenfang/ Deutsche Textilindustrie verbraucht 200.000 Tonnen Chemie ■ Von Donata Riedel
Berlin (taz) — Auf Berlins Kudamm türmt sich das Herbstlaub. Nicht unter den Bäumen auf der Flanierstrecke — dort wird jedes Blatt sofort weggefegt — sondern in den Schaufenstern der Boutiquen. Die Modepuppen sind vielfach auf Strohballen drapiert, denn die Herbst/Winter-Saison ist ganz auf Umwelt eingestellt. Während viele Kleiderhersteller mit dem Etikett „natural look“ bloß das Blumenmuster und modischen Grobstrick meinen, macht die Düsseldorfer Modefirma Esprit ernst: In der Ecollection (von ecology) proben die Hersteller sogenannter young fashion die Produktion und Vermarktung von giftfreier Kleidung.
Auf dem Kurfürstendamm sind beide Schaufenster für die Ecollection reserviert. Und drinnen muß jede Kundin zunächst am Ökoständer vorbei, selbst wenn sie anschließend doch lieber tiefer in den Laden zum chemisch gefärbten Schmusewollpullover strebt.
Die Ecollection zielt gleich auf den höchsten Ökostandard: ungebleicht, ungefärbt, unbehandelt — und leider unschick. Denn naturfasermäßig gibt es nur die verschiedenen Schaf- und Baumwollfarben — jene Braun-Beige-Khaki-Töne, die jede durchschnittlich-mittelblonde Mitteleuropäerin gnadenlos in eine grünlichgraue Maus verwandeln.
Während aber die etablierten Naturmode-Designer seit Jahren auf Eleganz setzen, beginnt Esprit jetzt ganz von vorn. Wer einen der sperrigen Pullover kauft, kann sich via Beipackzettel gewissensmäßig das Wohlgefühl verschaffen, das sich allein durchs Tragen nur schwer einstellt — aus „postindustrieller Wolle“, gestrickt von einer Frauenkooperative in einer von Arbeitslosigkeit geplagten Gegend in den USA. Weil sich ohne Chemie offenbar auch die Motten im Kleiderschrank viel wohler fühlen, gibt's im Ecollection-Regal entsprechende Gegenkräuter — zu zwölf Mark das Säckchen. Und wenn schon Ökotrip, dann gleich für den ganzen Körper: Im Regal stehen Plastikflaschen, verziert mit einem Beluga-Wal, die „rain-forest-body-moisture“ enthalten. Die Zutaten werden im Regenwald von den dort lebenden Menschen eingesammelt — gegen faire Bezahlung natürlich.
So viel wie möglich von den Ecollection-Erfahrungen wollen die Esprit-Leute nach eigenem Bekunden in ihr heute noch chemiebefrachtetes Normalprogramm aufnehmen. Das größte Problem dabei teilt sich die Modefirma mit den etablierten kleinen Herstellern von chemiefreier Kleidung: Der wichtigste Bekleidungsrohstoff Baumwolle wird fast nirgendwo umweltvertäglich angebaut, wie auch Greenpeace bestätigt. Die Plantagen in den Hauptproduzentenländern China, USA, UdSSR, Indien, Mexiko und Kolumbien werden nach Recherchen des Magazins Ökotest 14 bis 25 Mal pro Vegetationsperiode mit Pflanzenschutzmitteln bespritzt; in Mexiko macht der Pestizideinsatz 47 Prozent der Baumwoll-Produktionskosten aus. Kurz vor der Ernte werden überall dort, wo der Rohstoff maschinell geerntet wird, die Pflanzen mit dem Vietnam-Gift Agent-Orange entlaubt — damit die Baumwollkapseln in den letzten Tagen von der Sonne rundherum beschienen werden und so einen gleichmäßigen Reifegrad erreichen.
Aber selbst wenn der Rohstoff hierzulande rückstandsfrei ankäme, wäre es das Endprodukt Bekleidungsstück noch lange nicht. Die deutsche Textilindustrie verbraucht jährlich weit mehr als 200.000 Tonnen Chemie aus 15.000 verschiedenen Einzelsubstanzen. Was in welchem Kleidungsstück drin ist, entzieht sich jeder Kontrolle. Lediglich das Allergien und Krebs auslösende Formaldehyd, das dem Knittern von Baumwollstoffen abhelfen sollte, kam ins Gerede. Darauf bemühten sich viele Hersteller, es durch Glyoxal zu ersetzen. Aber auch dieser Stoff ist laut Ökotest giftig und kann zu Nierenfunktionsstörungen führen.
Doch auch die deutsche Textilindustrie spürt den Drang zu umweltfreundlich produzierten und hautfreundlichen Stoffen. Schließlich hat ihr potentiell größter Abnehmer, der Bekleidungsfabrikant Klaus Steilmann, verkündet, seine Produktion nach und nach umweltgerecht umbauen zu wollen und damit erhebliche Unruhe sowohl bei der Bekleidungs- als auch der Textilindustrie ausgelöst. Die notleidende Textilbranche — die sechs größten Stoffproduzenten schrieben 1991 tiefrote Zahlen — ist nun dabei, ein textiles Umweltzeichen zu entwickeln. Daß es dabei um mehr geht als ein schickes Label, zeigen die heftigen Abwehrreaktionen vor allem der Billigkleidungshersteller: Diese verwenden zum großen Teil Textilien aus Dritte-Welt-Ländern, die — solange sie so billig bleiben — das neue Qualitätssiegel nicht erreichen werden.
Ansprüche, wie sie Esprit per Ecollection aufstellt, hat Steilmann nicht. „Entsorgungsfreie Bekleidung“ heißt das Projekt des Fabrikanten, der von Lagerfeld-Kollektionen bis C&A-Mode ziemlich alles an Kleidung herstellt. Beim Färben kommt in seinen Anlagen nach wie vor Chemie zum Einsatz, jetzt aber in einem Verfahren, daß 80 Prozent der vorher verbrauchten Mengen einspart. Die Farbreste werden aufgefangen und in den Produktionskreislauf zurückgeschleust. Dadurch, daß die Veredelungsprozesse in geschlossenen Wasserkreisläufen stattfinden, spart Steilmann pro Kilo Stoff 300 Liter Wasser — und die Entsorgungskosten für die chemischen Hilfsstoffe.
Auf wieviel Chemie künftig in konventioneller Produktion verzichtet wird, hängt zum großen Teil von den VerbraucherInnen ab. Das praktische und seit Jahren hypermoderne Schwarz belastet die Umwelt nämlich ganz erheblich: Der Stoff oder die Wolle muß mit schwermetallhaltigen Chemikalien behandelt werden, damit die große Menge Farbe (die man braucht, um von beige bis tiefschwarz zu kommen) auch haften bleibt. Besonders umweltschädlich sind schwarze Jeans: bei jeder Wäsche gerät etwas mehr schwermetallhaltiges Farbgemisch ins Abwasser. Doch auch die Jeans-Läden packen derzeit Herbstlaub und Strohballen in ihre Schaufenster — und Wrangler wirbt auf gebleichten T-Shirts für globales Umweltdenken.
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