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Humorvoller IRA-Anschlag dezimiert britische Fernsehserie Von Ralf Sotscheck

Der Tagesablauf der britischen Durchschnittsfamilie wird von TV-Serien bestimmt. Täglich um halb zwei laufen „Neighbours“ und „Home and Away“, zwei flachsinnige australische Sendungen, die für gelegentliche Zuschauer kaum zu unterscheiden sind. Hartgesottene können sich beide Serien antun: Sie werden täglich um 18.30 Uhr wiederholt.

Noch erfolgreicher als der Australo-Schwachsinn sind die ebenso dümmlichen einheimischen Serien. „Coronation Street“, das in Manchester spielt, läuft bereits seit 30 Jahren. Von der Originalbesetzung ist allerdings nur noch Ken Barlow übrig. Eine Boulevardzeitung bezeichnete ihn im vergangenen Sommer völlig zu Recht als „langweilig und unbeliebt“. Dennoch klagte Barlow und gewann den Prozeß. Offenbar war der Richter „Coronation Street“-Fan der ersten Stunde. Vor zehn Jahren bekam die Erfolgsserie Konkurrenz: „Eastenders“ spielt im rauhen Osten Londons. Hauptdarsteller sind die Besitzer der Marktstände, die zufällig allesamt am Albert Square wohnen. Um die Einschaltquoten zu erhöhen, brachen die Produzenten mit vielen Tabus, die anderen Serien heilig sind: Bei „Eastenders“ gibt es Abtreibung, Aids-Infizierte, Vergewaltigung, schwangere Jugendliche und einen Kleinkriminellen, der zur Strafe von der Mafia erschossen wird. Eine Zeitlang liefen die „Eastenders“ den allzu harmlosen Kollegen aus Manchester den Rang ab. Inzwischen hat sich das Blatt jedoch gewendet. Den BBC-Chefs wurden die „Eastenders“ deshalb zu teuer, und man wollte die lange Besetzungsliste etwas ausdünnen. Mit der Exekution wurde der Schriftsteller David Yallop beauftragt.

Es gibt viele Möglichkeiten, Serienhelden loszuwerden. Als Kylie Minogue und Jason Donovan bei „Neighbours“ aussteigen wollten, ließ man sie einfach heiraten und in eine fremde Stadt ziehen. Eine saubere Lösung. Yallop hatte jedoch anderes im Sinn. Er schrieb die Besetzungsliste auf eine Tafel und markierte erstaunlich viele Namen mit einem Sternchen. Das war das Todesurteil. Statt die Betroffenen jedoch nach und nach durch Autounfälle, Lungenkrebs oder Leberzirrhose aus dem Serienleben scheiden zu lassen, entschied sich Yallop für die Radikallösung. Er plazierte per Manuskript eine IRA-Bombe im Keller des Gemeindezentrums, die ausgerechnet am Tag der Unterhauswahlen hochging und die „Eastenders“-Besetzung auf ein Minimum dezimierte. Übrig blieben lediglich ein paar Hauptdarsteller und eine Handvoll Querschnittsgelähmter. Produzent Mike Gibbon war begeistert: „Das Manuskript hat sehr viel Humor und einen Schuß Tragik. Genauso habe ich es mir gewünscht.“ BBC-Boß Peter Cregeen fand das Manuskript weniger amüsant. Zwar hielt auch er die Bombenopfer für entbehrlich, doch es zeuge von schlechtem Geschmack, die IRA als Killerkommando anzuheuern. Gibbon wurde wegen seines perversen Humors zum Produktionsassistenten degradiert, Yallop wurde gefeuert. Sein Prozeß gegen die BBC auf Zahlung des vereinbarten Kopfgeldes in Höhe von 78.000 Pfund begann vergangene Woche. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben die „Eastenders“-Stars noch heute.

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