: Morgens autonom, abends national
Grit Weidner (24), Streetworkerin im ostsächsischen Zittau, organisiert den Dialog zwischen den autonomen Bewohnern der Milchstraße und den nationalistischen Jugendlichen von der Südstraße ■ Von Detlef Krell
Vier Mann, vier Ecken. Einmal Ächzen, und die Kiste steht auf der Ladefläche des Lasters. Noch eine Kiste, noch eine. Die Fracht will sorgsam behandelt sein. Medizinisches Gerät, Teil für Teil. Eine vollständige Zahnarztstation ist darunter, ein Röntgenapparat und Schulmaterial. Die Jungen von der Milchstraße verladen an diesem Morgen eine neue Hilfssendung für die belorussische Stadt Drogitschin. „Milchstraße“ steht für ein besetztes Haus, für die autonome Linke der ostsächsischen Kleinstadt Zittau. Abends werden dem Hilfstransport drei junge Männer vom Nationalen Jugendblock Zittau e.V. zusteigen. Sie wollen die Solidaritätsspenden ihrer MitbürgerInnen nach Belorußland bringen und dort übergeben. Ihr Verein steht für das „rechte Haus“ auf der Südstraße, wo seit Monaten schon Jugendliche an ihren Wohnungen werkeln. Beide Häuser verbindet, nach harten Straßenkämpfen, ein Stillhalteabkommen. Und heute dieser Laster.
Das Priebersche Haus in der Inneren Weberstraße in Zittau gehörte vor zweihundert Jahren einem der reichsten Patrizier der Leineweberstadt an der Neiße. Die meisten Zittauer kannten das Haus als verlassenes Wohnheim polnischer und vietnamesischer ArbeiterInnen. Vor knapp zwei Jahren zog mit dem Multikulturellen Zentrum, dem „MUK“, wieder Leben in den sanierungswürdigen Barockbau. Grit Weidner kocht an diesem Morgen den „Linken“ einen Frühstückskaffee; abends wünscht sie den „Rechten“ eine gute Reise. Sie hat das Privileg, auf beiden Straßen zu „wohnen“. Kaum älter ist sie als ihre stadtbekannten, „radikalen“ Jugendlichen. Grit Weidner ist Streetworkerin. Ihr Geld bekommt sie vom Arbeitsamt. Wenigstens noch bis Ende Oktober. Ihr winziger Schreibtisch, der nur als Ablage für Zettel und Telefon dient, steht im Prieberschen Haus. Im Nebenzimmer lernen afghanische und bulgarische AsylbewerberInnen die deutsche Sprache.
Die rechten Jugendlichen beim Wort genommen
Nicht ohne Stolz erzählt Grit, daß „Hilfe für Belorußland“, die Solidaritätsaktion der Stadt und des Multikulturellen Zentrums, älter sei als die gleichnamige des Landtages Sachsen. Neu ist, daß „ihre“ Jugendlichen mit auf die Reise gehen. „Als bestimmte Journalisten davon hörten, wurden sie gleich unruhig. Die dachten allen Ernstes, wir hätten die Rechten dazu überredet, um das politisch als Erfolg des MUK zu verkaufen. Für die Südstraße war es gar keine Frage, diese Tour zu machen. Wenn die gegen AusländerInnen argumentieren, sagen mir die Rechten immer, man solle lieber vor Ort etwas tun. Also habe ich sie beim Wort genommen.“
Den Autonomen stößt es beim Frühstück zwar etwas auf, daß sie Kisten schleppen dürfen, damit „die Nationalen“ auf die Reise gehen können. Aber etwa Han in Hand arbeiten, das ist nicht drin, und im fernen Drogitschin, beim Entladen, werden die Pakete nicht leichter geworden sein. „Ihr kriegt ja erstmal euer Haus“, erinnert Grit. Ein eigenes Haus in der Rosa-Luxemburg-Straße; höchste Zeit für die jungen Linken, die immer wieder deshalb angefeindet wurden, weil sie „die Milchstraße“, eine seit vielen Jahren nahezu „ausgewohnte“, historische Ecke, instandbesetzt hatten.
Grit gehört nicht zu den SozialarbeiterInnen, die ihre politische Neutralität demonstrativ vor sich her tragen. Die Rechten „wissen genau, daß ich viele AusländerInnen kenne, daß das für mich keine Exoten sind“, und auch, daß sie vor einem Jahr dabei war, als die Linken in die Milchstraße einzogen. Penetrant gegen politische Klischees Andersdenkender anzufechten, ist ihre Sache nicht. „Das Links-rechts-Schema ist untauglich. Die einen sehen sich mehr als Autonome, die anderen als Nationalisten.“ Unterschiedliche Lebensentwürfe, für die in Zittau Freiräume geschaffen werden sollen, gewaltlose Freiräume. „Es gibt genügend Probleme, die beide Seiten betreffen. Heute früh“, als die Jungen den Laster beluden, „ist ein so toller Satz gefallen.“ Stefan, einer der Hausbesetzer, habe gesagt: „Wir wollen ein anderes Klima aufbauen als in der Milchstraße.“ Das sei eine wichtige Frage, „mit ihren Konflikten untereinander umgehen zu lernen“. Abschied von der autonomen „Bunkermentalität“ des wehrhaften Hausbesetzers zum Beispiel, Öffnung nach außen, zu solchen gar nicht seltenen MitbürgerInnen, die sich zum „linken Milieu“ hingezogen fühlen, ohne gleich „aussteigen“ zu wollen. Neben den Wohnräumen soll deshalb im neuen Domizil auch ein Cafe entstehen. „Für die Südstraße ist es vielleicht eine Art Gewaltprävention, wenn sie mit nach Belorußland fahren. Einfach, weil sie mal probieren können, Probleme wie die Armut in anderen Ländern auf ihre Art lösen zu helfen.“
Auf dem Programm der Interkulturellen Woche in Zittau stand ein Forum über Gewalt und Gewaltprävention. „Wir hatten so mit 40, 50 BesucherInnen gerechnet“, erinnert sich Grit. Gekommen waren mehr als 180. Eröffnungsvorträge hielten Thomas Pilz vom MUK, der auch im Landesvorstand vom Bündnis 90/Grüne sitzt, Robert Pech, Mitglied der „Republikaner“, Jugenddezernent Zimmermann, Amtsleiter Wolf und Herr Graf von der PDS. Robert Pech, 20 Jahre alt, ist „politischer Sprecher“ und eifriger Begleiter des Projekts „Südstraße“. So gut er eben kann, spielt er die ideologische Begleitmusik zum Wohnungsbau des Vereins. An jenem Montag abend stand er mit seinem dürren Gebäude aus germanischer Historie, nationalem Pathos und Fremdenangst gar nicht gut im Licht. Die Zittauer gaben sich mit einfachen Antworten nicht zufrieden. Unerwartete Hilfe bekam er von Grit. „Jedenfalls stellten es einige Linke anschließend so dar. Ich war lediglich dagegen, daß Robert Pech allein für die Gewalt in der Stadt verantwortlich gemacht wird. Das ist so einfach nicht. Nur von ihm Rezepte gegen Gewalt zu verlangen - das bringt nichts als Konfrontation. Die Gewaltprävention kann nicht nur von den Rechten ausgehen. Das wäre Quatsch.“
In Zittau leben etwa 32.000 Menschen. Textilindustrie und der Fahrzeugbau waren die wichtigsten Arbeitgeber; sie existieren nicht mehr. Die Stadt im Dreiländereck will mit ihren polnischen und tschechischen Nachbarn die Grenzen öffnen zu einer „Euroregion Neiße“. Trotzig besinnen sich die vergessenen Zipfel der drei Länder darauf, in der Mitte Europas zu liegen. Als „rassistisch“ geriet Zittau in die Schlagzeilen, als am Himmelfahrtstag 1991 eine Gruppe Rechtsradikaler das Ferienheim von Tschernobyl-Kindern angriff. Es folgten weitere gewalttätige Übergriffe auf AusländerInnen. Der erste Prozeß gegen rechtsradikale Täter in Sachsen bewegte die internationale Öffentlichkeit und die kleine Stadt. Die Täter wurden verurteilt, sie gingen in Berufung, dabei blieb es bis heute. An den Konflikten der Jugendlichen, an der Tristesse der Kneipenabende, an der Angst der AsylbewerberInnen änderte das nichts. Damals bereits hatten sich einige Jugendliche, die sich als „rechts“ bezeichnen, um ein eigenes Wohnhaus bemüht. Zunächst vergebens. Doch „Nazis raus“ war keine Alternative. Also setzten sich die Stadt, das Multikulturelle Zentrum und die Rechten an einen Tisch; Pfarrer, Polizei und Nachbarsleute dazu. Ein öffentliches Forum in einem Neubaujugendklub ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Keine Chance mehr für Gewalt in unserer Stadt“, hieß es dort, die jungen Leute nickten. An diesem Abend wurde das Projekt „Südstraße“ geboren. Die Stadt vermietete es an den Verein. Seit der Einzugsfeier „wird dort gebaut, gebaut, gebaut“, freut sich die Streetworkerin. Sie war mit gemischten Gefühlen und den gängigen Klischees über „die Rechten“ zum „Antrittsbesuch“ in die Südstraße gegangen. Zuvor saßen im MUK Linke und Rechte an einem Tisch, um über die Straßenkämpfe zu reden. „Mit der Zeit habe ich mitgekriegt, daß die durchaus wissen, was sie wollen, die sind weiß Gott nicht blöd.“ Die Gewalt gegen Fremde, das großdeutsche Getöns? „Wenn sie die AusländerInnen nicht durch die Politik als Zielgruppe präsentiert bekämen, wären andere dran, die Linken, die Polizei. Die Ausländer sind nur ein Aufhänger für ihren Frust gegen diesen Staat.“
Skeptisch ist sie deshalb, wenn wiederholte Razzien der Sonderkommission Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes die einzige „Umgangsform“ des Staates mit Rechten bleiben. „Einschüchterung ist das. Keine Gewaltprävention. Für den Augenblick wird es Ruhe geben. Aber in den Köpfen der Leute arbeitet das, und mit viel mehr Haß auf den Staat geht die Gewalt weiter.“
Lächerlich findet die Streetworkerin allgemeine Verlautbarungen über „die perspektivlosen Jugendlichen“. Die meisten BewohnerInnen der beiden Straßen sind in der Berufsausbildung, trotz der hohen Arbeitslosenzahl in der Region. „Probleme zu Hause haben sie fast alle. Wenn ich immer zu Hause hocke und nichts mache, stimmt, dann bin ich perspektivlos.“
Grit Weidner ist in einer großen Familie aufgewachsen. Ihre erste Lektion als Sozialarbeiterin bekam sie frühzeitig, daheim von neun Geschwistern. Nach dem Abitur wollte sie Ökonomie studieren oder Musik. Nichts ging, ihre Beurteilung ließ zu wenig Anpassung erwarten. Also wurde sie Bankkauffrau, im Hinterkopf noch die Idee, mal eine Kneipe zu übernehmen. Zunächst „aus Abenteuerlust“ recherchierte sie mit kirchlichen Umweltgruppen die industrielle Belastung der Stadt, „ging auch mal zum Gottesdienst, um dort Leute zu treffen. In der Kirche war ich nie.“ Nach der Wende probierte sie viele Jobs durch, darunter den Aufbau der Arbeiterwohlfahrt in Zittau. „Eines Tages wurde ich vom MUK angesprochen.“
„Projekte gibt es genug, aber es läuft noch keines“
Neben den beiden „extremen“ Häusern bietet die Kleinstadt ihrer Jugend noch den Szene-Treff „Goldner Stern“; und für die, wie Grit sie nennt, „Normalbürger“ soll das einstige „Haus der Pioniere“, die „Villa“, zur Disko ausgebaut werden. „Projekte gibt es viele, aber es läuft noch keines. Attraktiv müssen sie sein, das ist viel wichtiger als nur Masse schaffen.“ Neue Gewalt braue sich ohnehin anderswo zusammen, in bestimmten Kneipen, „und dort ist kein Sozialarbeiter“. Grit will sich nicht verzetteln, sie braucht die Zeit, „noch viel mehr Zeit“, für „meine“ Jungs und Mädchen. Vor allem aber will sie nicht ewig auf einer ABM-Stelle mit der Ungewißheit sitzen bleiben, was denn das neue Jahr bringen werde. Zwar kann sie, die Ur-Zittauerin, bis jetzt aus dem Bauch heraus „zwischen den Fronten“ arbeiten. Doch eines Tages würde sie Sozialpädagogik ganz gern studieren. „Wir machen das doch nicht für uns! Das heißt, gewissermaßen schon. Aber ich arbeite hier mit den Jugendlichen, damit wir alle in dieser Stadt leben können. Ohne Reizgas in der Tasche oder den Schlüsselbund zwischen den Fingern.“ Noch besser wäre, „wenn alle Menschen nach ihrer Art leben könnten und solche Jobs, wo sich jemand um Leute kümmert, die dazu eigentlich selbst alt genug sind, überflüssig werden“.
Was würde sie dann machen? „Musik studieren. Oder Völkerkunde.“
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