piwik no script img

Ironie und freier Himmel

■ “Ein Zimmer für sich allein“: Hille Darjes funkelt als Virgina Woolf

Hille Darjes als Mrs. Virginia WoolfFoto: Frank Pusch

Vergangenheiten, übermalt, begraben, in die Sperrmüllecke geraten, sind plötzlich springlebendig, ist man durch des Scandic Crown Hotel spiegelnde Türen oder — noch besser — von der Böttcherstraße durch das Atlantis-Treppenhaus gekommen zur Vorlesung von Mrs. Virginia Woolf über Frauen und Literatur, gehalten von Hille Darjes.

Da ist dieser Raum. Ist das nicht, aber das ist doch, dem bißchen Verkleidung zum Trotz,

hier bitte die Frau

am podium

mit den

utensilien

drumrum

der Ort, auf dessen winziger Bühne vor einem Jahrzehnt die bremer shakespeare company, mitgegründet von Hille Darjes, sich (und uns) am Zopfe ihres Witzes aus den niederdeutschen Wassern gezogen hat. Und dann dieses Reden, das die schmale Frau da vorne am blauen Katheder beginnt, die da gerade ihren blauen Mantel abgelegt hat und aus ihrer blauen Aktentasche ein zartblaues Manuskript holt, dieses Reden, diese zwei Stunden zielgenaue Abschweifung, statt über Frau und Literatur über Dörrpflaumen sowie 500-Pfund Jahresrente, Nachlaß einer Tante, die in Bombay vom Pferd gefallen war, woher kennen wir das? Sollte das wirklich der Text sein, aus dem eine inzwischen verknöcherte Frauenbewegung ihr Bestes nahm und es in Quoten verwandelte?

Aber hier, aus dem Munde dieser rührend altertümlich eleganten Dozentin, fällt alle erbitterte Larmoyanz ab von dieser Rede, und sie funkelt frisch, ziemlich englisch und göttlich ironisch wie mindestens 1928, als Virginia Woolf sie hielt. Sie spricht davon, wie es kommt, daß sich der gesamte gesellschaftliche Reichtum, wie Freiheit und Achtung ausschließlich bei den Männern angesammelt haben und weshalb also ein weiblicher Shakespeare bisher nicht möglich war. Aber sie und Hille Darjes tun es so, daß der bis über den letzten Stuhl gefüllte Saal gluckst vor Vergnügen. Sie beschreibt den Nachtisch ihres Lunch mit den Herren im College von Cambridge, dem - „ein Schaum von den Wellen“ - mit dem Worte PUDDING zu nahe zu treten, auch uns im Scandic Crown zwergfellortig erschüttert. Die Dozentin schweift weiter zum Dinner im Frauen College von Fernham und dessen Krönung durch Backpflaumen, Dörrplaumen in der Übersetzung von Hille Darjes. Dieses „lieblose Gemüse, denn Obst sind sie nicht!“ die, „eine Flüssigkeit absondernd, wie sie in den Adern eines Geizhalses rinnen mag, der sich achtzig Jahre hindurch Wein und Wärme versagt und doch nichts den Armen gegeben hat“ wird nur noch übertroffen durch den darauffolgenden Gang von Keksen und Käse, zu dem freigiebig die Wasserkaraffe herumgereicht wird, „denn es gehört zum Wesen der Kekse, trocken zu sein, und diese waren Kekse bis ins Mark.“

Den Geschlechterneid in Dörrobstsauce und das Publikum in blankem Vergnügen zu wälzen ist nicht Gag. Woolf versucht, was sie fordert, als Frau zu schreiben und das heißt auch als Ausgeschlossene, auch als Mißbrauchte, dies aber „weißglühend“ zu tun wie Shakespeare. Was das heißt, beschreibt sie mit der Bedeutung der Jahresrente von 500 Pfund, die ihr eine Tante vererbt hat: „Es hörten nicht nur Arbeit und Mühsal auf, sondern auch Haß und Bitterkeit. Ich muß keinen Mann hassen, er kann mir nicht wehtun. Ich muß keinem Manne schmeicheln, er hat mir nichts zu geben. Und so fand ich, daß ich eine neue Haltung annahm gegenüber der menschlichen Rasse. Und allmählich mäßigten sich Haß und Bitterkeit zu Mitleid und Nachsicht. Und dann, nach ein, zwei Jahren verschwanden auch Mitleid und Nachsicht, und die größte aller Erleichterungen trat ein. Das war die Freiheit, an die Dinge selber zu denken. In der Tat, die Erbschaft meiner Tante entschleierte mir den Himmel und setzte anstelle des großen, ehrfurchtgebietenden gentleman, der meiner unablässigen Verehrung empfohlen war, den Anblick des freien Himmels.“ Uta Stolle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen