■ Die EG auf dem Kurs der Renationalisierung: Maastricht ist klinisch tot
Die Worthülse „Subsidiarität“, der aufwendige Sondergipfel in Birmingham und die Beteuerungen, „wir werden alle zusammenhalten“, können es kaum noch verdecken: Die Maastrichter Verträge werden nur noch künstlich am Leben erhalten, sie sind klinisch tot. Nach den Volksabstimmungen in Dänemark und Frankreich stehen die Verteidiger der Verträge mit dem Rücken zur Wand: In Majors Partei grassiert die Angst vor Souveränitätsverlust, Schlüters Regierung hat keine Mehrheit im Folketing, Gonzalez hat Schwierigkeiten, die europäische Währungspolitik zu vermitteln, in Kohls Lager mehrt sich die Forderung nach einem Maastricht-Referendum.
Vorsichtshalber hatten die Macher von vornherein Bremsen eingebaut: Großbritannien wollte keine gemeinsame Sozialpolitik – Zusatzprotokoll. Dänemark wollte keine automatische Einbeziehung in die Wirtschafts- und Währungsunion – Zusatzprotokoll. Portugal wollte seine besonderen Kreditbedingungen auf den Azoren und Madeira sichern – Zusatzprotokoll.
Zu den zahlreichen Protokollen, die schon in Maastricht die Europäische Union verwässerten, sind in der Zwischenzeit weitere hinzugekommen. Manche sind bereits beschlossene Sache, wie bei dem Wahlrecht für EG-AusländerInnen in Frankreich, wo aus der Maastrichter Muß- eine Kann-Bestimmung geworden ist. Andere sind in der Diskussion. Unter der Überschrift „Subsidiarität“ verlangt eine Regierung nach der anderen Ausnahmeregelungen.
Noch ist offen, was die Kriterien für „Subsidiarität“ sein sollen — vielleicht wird der EG künftig neben der Sozialpolitik auch die Umweltpolitik gestrichen. Fest steht aber schon jetzt, daß sich die EG rückwärts bewegt. Der jahrzehntelangen Vergemeinschaftung von Politik ist deren Renationalisierung gefolgt. Zu Recht hat EG-Kommissionspräsident Delors darauf hingewiesen, daß „Subsidiarität“ — also die Verlagerung von Entscheidungen an die unterste Ebene — nur in föderalen Systemen möglich ist. Die EG aber ist weit davon entfernt, föderal zu sein. Ganz abgesehen davon haben auch viele Mitgliedsländer mitnichten föderale Systeme. Wenn politische Entscheidungen von Brüssel an die Mitgliedsländer zurückgegeben werden, bedeutet das also keinesfalls automatisch eine Aufwertung der Regionen, sondern der Hauptstädte.
Eine Renationalisierung der Politik wird in jedem Fall die großen Länder aufwerten. Der komplizierte Proporz in den EG-Institutionen, wo jedes Mitgliedsland unabhängig von Bevölkerungsstärke und Größe ein Mitspracherecht hat, wird zerbrechen. Die politischen Entscheidungen für Europa werden dann wieder in den „starken“ Hauptstädten fallen. Vor diesem Rückfall in vorgemeinschaftliche Zeiten zittern die kleinen Länder schon jetzt. Dorothea Hahn
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