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„Kinder einer Erde“

■ Indianische Jugendliche von der Chief-Leschi-Schule aus Seattle zu Besuch in der Musikschule Tempelhof/ Traditionelle Indianertänze und Geigen- und Cellomusik

Ein Ungeheuer hat die Sonne und alle Bewohner der Erde verschlungen. Nur der Rabe hat überlebt. Einsam schwebt er über den kahlen Bergen. Als er endlich die Sonne in einem Versteck entdeckt, muß er seine ganze Überredungskunst aufbringen, damit sie wieder scheint. Erst dann kehrt das Leben auf die Erde zurück.

Zu dem monotonen Rhythmus einer riesigen Trommel führen sechs Jugendliche der Trommel- und Tanzgruppe der Chief-Leschi- Schule aus Seattle traditionelle Tänze ihrer Stämme vor. Greg (18) sieht mit seinen glatten schwarzen Haaren und seinem schönen braunen Gesicht mit den hohen Backenknochen so aus, wie man sich bei uns einen Indianer vorstellt. Er trägt einen pfauenartig gespreizten Federbusch hinter seinem Kopf, ein zweites Exemplar dieses rot- weiß-schwarzen Prachtstücks mit anderthalb Metern Durchmesser hat er sich um die Hüfte geschnallt. Mit wildem Fußstampfen charakterisiert er den Flug des Raben. Dann öffnet sich ein dick verschnürter Holzkasten, auf dessen aufklappbaren Wänden von innen die Sonne gemalt ist.

„500 Jahre Kolumbus und die sogenannte Entdeckung Amerikas – für uns war das eine Geschichte voller Blut und Tragödien.“ Die vom Verein „Land und Leben“ eingeladenen Indianer begegnen dem weltweiten Rummel mit der Sichtweise der Eroberten. Dabei steht nicht die Anklage der Kolonialherren auf dem Programm, sondern die eigene Kultur. Berliner Kinder von fünf bis zehn Jahren sind an diesem Samstag nachmittag unter dem Motto „Kinder einer Erde“ in die Musikschule Tempelhof geladen. Es sind aber fast ausschließlich Erwachsene, die Fragen stellen, nachdem die indianischen Jugendlichen ihre Kostüme und Tänze vorgeführt und mit den Zuschauern einen Freundschaftstanz zelebriert haben.

Das Interesse gilt vorrangig der Chief-Leschi-Schule, die 550 indianische Kinder und Jugendliche aus 41 verschiedenen Stämmen besuchen. „Unser Schulbus legt täglich 600 km Fahrweg zurück, um die Kinder aus den umliegenden Reservaten abzuholen“, sagt Binah Paz, zuständig für die kulturellen Belange. „Fast alle stammen aus Familien mit sehr niedrigen bis gar keinem Einkommen. Oft sind die Eltern Alkoholiker.“ Integration in die amerikanische Gesellschaft („Man muß sie erst mal auf die Idee bringen, daß sie auch Arzt oder Rechtsanwalt werden könnten“) ist dabei ebenso wichtig wie die Rückbesinnung auf ihre Herkunft. Neben Mathematik und Englisch steht daher für jedes Kind Unterricht in der speziellen Geschichte und den Ritualen seines Stammes auf dem Stundenplan. „Wir lehren unseren Kindern, stolz darauf zu sein, daß sie Indianer sind.“ Condilia Marin (17) ist eine von vielen natural helpers. Sie ist Ansprechpartnerin für Jugendliche mit Problemen. „Wir sind eine Art Familie. Statt Cliquenwirtschaft und Kleiderzwang gibt es bei uns gegenseitige Unterstützung.“ Chief Leschi ist daher weitgehend drogenfrei — eine Tatsache, die der Schule bereits Auszeichnungen und Preise einbrachte.

In der zweiten Hälfte des bunten Nachmittags sind die Tempelhofer Musikschüler als Stellvertreter der deutschen Kultur an der Reihe. Mit Geigen und Celli und dem Theaterstück von der Moorhexe spielen sie für ihre weitgereisten Gäste. Jantje Hannover

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