Interview über Häuserkampf: Münchens beste Aussicht

Christian Ganzer ist Mitinitiator des Kulturzentrums Bellevue di Monaco. Ein Gespräch über die Geschichte des Hauses und seine Schwierigkeiten.

Goldige Einladung: An manchen Ecken der drei Häuser wird noch gebastelt Bild: dpa

taz: Herr Ganzer, was bedeutet „Bellevue“ für Sie?

Christian Ganzer: Das ist mit einem gewissen Augenzwinkern zu sehen, weil sich natürlich viele Hotels mit diesen Worten im Namen schmücken („Schöne Aussicht“), und die dortigen Gäste eher Wohlhabende sind, die sich aussuchen können, wohin sie reisen. Bei unseren Bewohnern ist das so, dass sie ihre Heimatorte nicht unbedingt freiwillig verlassen haben.

Wie kam es zu der Idee?

Die Stadt wollte zwei ihrer drei Häuser abreißen. Ein neues Mietshausprojekt sollte entstehen. Jetzt konnten aber wir diese Häuser pachten. Schräg gegenüber ist der Luxusturm „The Seven“ entstanden, eine Gated Community für Schwerreiche. Deswegen wollten wir hiermit auch einen Kontrapunkt setzen: Wir blicken auf die Reichen, aber die müssen sich auch mit uns als buntem Kulturzentrum auseinandersetzen.

Wie habt Ihr die Stadt umstimmen können?

Wir haben damals ein sehr schmales Zeitfenster genutzt – das war während der „Flüchtlingskrise“ vor drei Jahren. Heute würden die Politiker nicht mehr so leicht einen so sichtbaren Punkt mitten in der Innenstadt diesem Thema widmen. Für uns als „Goldgrund Immobilien“ ging es mit unseren satirischen Fake-Aktionen eigentlich darum, dass es für alle Betroffenen in München klar sichtbar wird: Bei all dem Leerstand wird einem die Stadt hier unter dem Hintern weggekauft.

Von Anfang an beim Projekt dabei.

Außerdem Teil der „Goldgrund Immobilien GmbH" und hauptberuflich Filmemacher (u.a. für Siemens, Kabarettbühnen und Musiklabels).

Wie spürt man die Getrifizierung hier konkret?

Da wird wahnsinnig viel Geld reingepumpt in die Immobilienwirtschaft – und die Stadt tut nichts. Die hat zwar selbst viele Immobilien, aber steuert nicht dagegen. Stattdessen verstärkt sie das dadurch, dass sie ihre eigenen Häuser in städtischem Besitz teuer saniert, dadurch teurer macht und Leute vertreibt.

Aus dieser politischen Erkenntnis, dass die Stadt da irgendwie naiv, aber eigentlich einfach nur kurzfristig wirtschaftlich gehandelt hat, kam dieser Anstoß. Dass die Stadt so ein Grundstück wie das Heizkraftwerk schräg gegenüber von hier (wo jetzt „The Seven“ steht) verkauft hat, in einer Zeit, in der die Wohnungsnot einem eigentlich aus den Nägeln rausblutet, und dass das unter einer rot-grünen Stadtregierung passiert, na ja...

Kam es auch zu ernsthafteren Problemen mit dem Gesetz? Es waren ja nicht alle Aktionen ganz legal...

Es gab in der Pestalozzistraße 'mal eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, als Till Hofmann [Anm. der Redaktion: Vorstandsmitglied und Kabarett-Veranstalter] mit einem Kameramann eingestiegen ist, um sich den Zustand des Hauses anzuschauen. In der Pilotystraße hingegen, was wirklich eine illegale Aktion war, da hatten wir nur den Kontakt zu einer alten Dame, die alleine im Erdgeschoss des Hauses wohnte und uns um Hilfe bat.

Die war für längere Zeit von niemandem im Bezirksausschuss gehört worden und kam dann auf einem Straßenfest an den Stand von Goldgrund Immobilien GmbH, unserem Satireprojekt. Als wir das Haus für einen Abend besetzten, da hätte man uns wirklich räumen können. Das kam aber nicht dazu, weil so viele Familien und Kinder da waren, und Künstler wie Gerhard Polt, Sabine Nallinger von den Grünen und ein Haufen andere Leute.

Wie gelang in solchen und anderen Fällen dann eine Deeskalation?

Allgemein weiß man als Bayer ja, dass man da nicht weit gehen kann. Es gibt keine echten Hausbesetzungen. In München gilt ja die Devise „Kein Haus bleibt länger als 24 Stunden besetzt“. Da gab es in den 80ern die letzte brutale Räumung. Deshalb waren unsere Aktionen immer recht freundlich aufgezogen und als Kunstaktionen verbrämt, damit man sagen kann: „Okay, hier sind wir zu Gast bei 'nem Jugendlichen, der da vorübergehend einquartiert war von der Jugendhilfe, und dem renovieren wir die Wohnung.“

Was wäre Ihr persönliches Ziel bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Flucht und Migration?

Was super wäre und eigentlich auch für heute angedacht war: wenn wir jemanden von der Gegenseite gehabt hätten, z.B. einen CSU-Politiker, oder den Ex-Bürgermeister Christian Ude, der sich als Gast geradezu aufdrängt hat mit seinem neuen Buch, in dem er so ein bisschen den Sarrazin macht. Bei der CSU kann man fast nachvollziehen, warum die gerade so handeln. Die wollen sich selbst die AFD vom Hals halten. Ich sage immer, dass wir eigentlich viel eher die SPD ins Gebet nehmen müssten. Denn die CSU selbst hat ganz andere Bevölkerungsschichten, die sie bedient. Wieso sollten die so einem liberalen Bürgertum hier im Glockenbachviertel den Gefallen tun, sich da in dem Punkt zu bewegen?

Wieso genau die SPD adressieren? Ist das die Partei derjenigen, die sich hier engagieren?

Das nicht unbedingt. Das sind vermutlich eher grüne bis rotere. Ich glaube aber, dass sich die SPD eher verpflichtet fühlen könnte, bei solchen Menschenrechtsthemen. Die müssten wir eigentlich eher drankriegen, weil die als Teil der großen Koalition die ganzen Schweinereien gerade mittragen. Ich denke, dass man da eher etwas bewirken könnte, damit die sich als Alternative und Kontrast zu rechts-Außen und Mitte-rechts positionieren.

Gibt es vergleichbare Projekte zum Bellevue di Monaco, die als Orientierungshilfe gedient haben?

Auf jeden Fall gibt’s da fantastische Projekte wie das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg. Die Leute dort sind allerdings auch schon ziemlich burnout-geplagt, weil sie sich bei geringer finanzieller Unterstützung seit vielen Jahren selbst ausbeuten, um das zu machen. Wer das ansonsten sehr professionell gemacht hat, sind die Leute vom Integrationshaus Wien. Die haben schon während des Balkankriegs angefangen mit dem Thema, weil das Österreich ja noch viel härter getroffen hat als uns hier damals schon in den 90er Jahren.

Würden Sie sich wünschen, dass das Projekt wieder radikaler wird und nicht vorrangig als kulturelles Prestigeengagement im Status Quo verrankert bleibt?

Wir versuchen schon, das zu unterlaufen. Es gab den Punkt, an dem die Staatsregierung die Gesetze so drastisch verschärfte und wir dann doch Flagge zeigen mussten. Zuvor hatten wir uns eigentlich weder rechts noch links einordnen lassen wollen. Zum einen weil wir personelle Unterstützung von allen Seiten brauchen. Außerdem müssen wir gerade die, die eher konservativ sind, von unseren Anliegen überzeugen.

Wenn aber die CSU einen Hammer nach dem anderen serviert, muss man was klarstellen. Und als Josef Bierbichler eine klare Anklage gegen die Staatsregierung ausgesprochen hatte in einer Rede auf einer Demo von uns, da wusste man dann auch wieder, wo einem das Herz schlägt.

Das Interview führte LION HÄBLER, Redakteur taz.meinland