: Fülle unechten Lebens
■ Die Kleider der Stars von Helmut Kajzar / Premiere des Theaters auf Teilung im Winterhuder Fährhaus
von Helmut Kajzar/Premiere des Theaters auf Teilung im Winterhuder Fährhaus
Ein unansehnlicher Stuhl in der Mitte, im Halbrund liegen Neonröhren und darin Klamotten von Flitter und Glitter, Tüll und Spitze, Samt und Seide. Sinnfällig wie ein magischer Halbkreis liegen Die Kleider des Stars im chromblitzenden Saal2 der Komödie Winterhuder Fährhaus. Die Kleider des Stars, geschrieben von dem 1982 gestorbenen polnischen Regisseur und Autor Helmut Kajzar, ist die neue und bereits siebte Produktion des Theaters auf Teilung (TaT), einem Projekt, das hauptsächlich in den Händen der Schauspielerin Barbara Focke liegt. Diesmal muß Barbara Focke die Gage nur mit dem Regisseur Jürgen Heidenreich teilen – für die Kleider... steht sie ganz allein als Star auf der Bühne.
Sie arbeitet sich erstmal an der Wand lang, trällert bald sarkastisch, bald verträumt, bald in rotzwässriger Verzweiflung „Rot, rot, rot ist alles, was ich habe, weil mein Schatz ein Metzger ist“, bevor sie in den Kreis der auf die Bühne geworfenen Show-Larven tritt. Angeklebte Wimpern zerren an den Lidern, chemisch-rot leuchtet das Rouge auf bläßlichen Wangen, und für seinen letzten Auftritt hat der Star das kleine wadenlange Schwarze gewählt. Das Make-Up, dick genug für grelles Scheinwerferlicht und große Bühnen, wirkt im Kammerspiel monströs. Das gehört zum Spiel in dem gut eineinhalbstündigen Monolog einer Frau - der manchmal in einen Dialog mit dem Publikum umschlägt – über Larven und Masken, über Verstecken- „Spielen“ und Selbstverleugnung. 800 Kleider und ebenso viele Frisuren habe sie tragen dürfen, und in allen habe sie sich wohlgefühlt, spielt sie uns vor, demonstriert dazu die ausgebreiteten Arme als große Geste der Liebe zum Publikum – ein handwerkliches Kabinettstückchen leeren Gehabes.
Die „Heldin aller Alltäglichkeiten“ nennt sie sich einmal, andeutend, daß sie in ihren Rollen allenfalls die Projektionsfläche für unentbehrliche Tagträume bietet. „Der Mensch führt nur wenige Dinge wirklich aus“, resümiert sie, und rechtfertigt sich kurz vor einem ihrer Zusammenbrüche: „Ich bin eine Schauspielerin“. Ein Satz, den sie im Laufe des Abends in verschiedenen Variationen präsentiert, und mit dem sie wissen läßt, daß sie dem Publikum schließlich alles weismachen kann, was sie will. Sie braucht dazu höchstens eines der herumliegenden Hütchen, aber keinen Kostümwechsel. Mehr als die Schauspielerei gibt sie allerdings von sich nicht preis und läßt im Unklaren, ob sie nun beispielsweise wirklich Mutter ist, oder ob es einfach ihr Job ist, diese Rolle glaubhaft zu gaukeln. Barbara Focke blättert Bilder aus der Fülle eines unechten Lebens auf. Sie wirken nach. jk
Komödie Winterhuder Fährhaus, Saal 2, 19.30 Uhr, bis 31.10.
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