Der Schritt aus der Sozialarbeit

■ Ein Fonds fördert Unternehmensgründungen in Frankreichs desolaten Vorstädten

Im Herbst 1990 brannte die Banlieue: Nachdem Polizisten einen jungen Motorradfahrer erschossen hatten, gingen in der Hochhaussiedlung von Vaulx-en- Velin bei Lyon Autos und Supermärkte in Flammen auf. Die französischen Medien sprachen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Die Ursache des Gewaltausbruchs liegt auf der Hand: Wer in einem solchen Schlafsilo groß geworden ist und noch dazu Hassan oder Mussa heißt, hat in Frankreich schlechte Karten. Der Wunsch nach einem Beruf, nach regelmäßigem Einkommen und sozialer Sicherheit gleicht hier einer Illusion.

Die Folgen dieser Hoffnungslosigkeit trägt das Fernsehen in regelmäßigen Abständen in die französischen Wohnzimmer: Diebstahl, Brandstiftung, Verfolgungsjagden mit der Polizei. In der Banlieue, den vor allem von Immigranten bewohnten Schlafstädten um Frankreichs Großstädte, scheint der soziale Ausschluß vorprogrammiert. Um die Misere zu lindern, beschließt der Staat immer neue kostspielige Initiativen, und immer über die Köpfe der Banlieusards hinweg: Aus- und Umbildungsmaßnahmen, Kulturprogramme, Renovierung der Gebäude. Sie sind allesamt von geringer Wirkung und kurzer Lebensdauer.

Ohne staatlichen Einfluß hingegen haben sich in den 80er Jahren zahlreiche Vereine in den Banlieues gebildet, die auf die Alltagsprobleme reagieren: In der Cité des Indes in Sartrouville westlich von Paris geben Jugendliche den Jüngeren Nachhilfeunterricht für die Schule, in Les Bosquets kämpft eine Gruppe gegen Drogen, anderswo sorgen die Vorstadtkids selbst für ein Kulturprogramm nach ihrem Geschmack. Unter ihnen sind viele Beurs, die schon in Frankreich geborenen Kinder von Immigranten, und die Gruppen sind oft aus dem Kampf gegen Rassismus und gesellschaftliche Benachteiligung entstanden.

Doch die Welle des Aufruhrs im Herbst 1990 hat diesen Gruppen klargemacht, wie begrenzt die Wirkung ihrer sozialen und kulturellen Aktivitäten ist. Anführer aus den Banlieues von Vaulx-en-Velin, von Toulouse und Lille kamen bei einem Treffen zu dem Schluß, daß nur eine Ausweitung auf wirtschaftliche Aktivitäten ihrem Kampf gegen den sozialen Ausschluß dauerhaften Erfolg verleihen kann. So enstand die Idee, den „Risiko-Anlagefonds Génération Banlieue“ zu gründen.

„Ohne wirtschaftlichen Austausch werden die Vorstädte isolierte Peripherien bleiben, unfähig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Emmanuel Antoine, der im Pariser Vorort Pantin an der Vorbereitung des Projekts arbeitet. „Die Führer in den Banlieues sind jetzt um die 30 Jahre alt, viele von ihnen sind arbeitslos. Sie müssen den Schritt heraus machen aus der Sozialarbeit, die ihre Probleme nicht lösen kann. Das ist auch deshalb so wichtig, weil sie den Jüngeren beweisen müssen, daß man sich selbst in der Banlieue eine Zukunft aufbauen kann.“

Noch vor Jahresende wollen die Organisatoren des Fonds öffentlich zu Spareinlagen aufrufen; innerhalb eines Monats — so schreiben es die französischen Gesetze vor — müssen dann mindestens 2,5 Millionen Francs, umgerechnet 800.000 Mark, zusammenkommen. Génération Banlieue hofft auf die doppelte Summe. „Unsere Botschaft lautet: Die Banlieue ist reich, investiert in die Vorstädte!“, sagt Emmanuel Antoine. Die Hälfte des so zusammengetragenen Kapitals soll in die Gründung kleiner Unternehmen investiert werden, wobei der Fonds als Anteilseigner auch Kontrolle ausüben wird. Zehn bis zwanzig Betriebsgründungen im Jahr sollen auf diese Weise gefördert werden. Für die Verwaltung des Fonds tragen die Vereine der Banlieues selbst Verantwortung. Wenn der Fonds funktioniert, wollen die Betreiber die Gründung einer alternativen Bank ins Auge fassen. Und es ist höchste Zeit, daß sich in Frankreichs Banlieues etwas tut: Vor einer Woche wurde in Vaulx-en-Velin erneut ein arbeitsloser Jugendlicher, der einen BMW geklaut hatte, von Polizisten erschossen. Drei Abende lang brannten daraufhin die Autos. Bettina Kaps