piwik no script img

„Vollstes Verständnis“ und ein Mord

Wie ein deutscher Panzer in der Türkei einen Kurden zu Tode schleift – und offizielle Stellen in Ankara und Bonn über die Leiche den Mantel des Schweigens breiten  ■ Von Ömer Erzeren

Sein Name war Ugur Dündar. Ein Guerillero der „Arbeiterpartei Kurdistans“, der PKK. Am 6. September wurde er nach einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen türkischem Militär verletzt und nahe des Dorfes Seyh Degirmenci bei der kurdischen Stadt Cizre aufgefunden. Die Fotografien sprechen für sich.

Ein Abschleppkabel wird an ihn angebunden. Der deutsche Schützenpanzer vom Typ BTR-60 schleift den jungen Mann über das Gelände. Zum Schluß wird den kurdischen Bauern des Dorfes Seyh Degirmenci eine Leiche zur Schau gestellt. Die Mörder prahlen mit den toten Opfern. So wird jeder und jede enden, die sich gegen den türkischen Staat erheben.

Die grauenhaften Fotografien mit Orts-, Zeit- und Namensangabe des Opfers wurden vergangene Woche in der Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem veröffentlicht. „Die Menschlichkeit wird geschleift“ lautete die Schlagzeile der Zeitung, die als einzige kritisch über Menschenrechtsverletzungen in Türkisch-Kurdistan berichtet. Gewidmet hatte die Redaktion die Veröffentlichung der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Süleyman Demirel, die stets hohle Worte von Demokratie und Menschenrechten in ihrem Munde führt.

„So etwas kann es nicht geben. Wir werden den Fall untersuchen,“ kommentierte Innenminister Ismet Sezgin die Veröffentlichung der Fotos. Zwei Tage danach erfolgte die erste und einzige offizielle Presseerklärung, seitens der Regionalgouverneurs von Diyarbakir. Die Zeitung, die die Fotos veröffentlichte, wurde zum Schuldigen erklärt: „Wir bedauern diese zielgesteuerte Nachricht, die zum Zweck hat, die Öffentlichkeit irrezuführen und unsere Sicherheitskräfte zu zersetzen.“

Doch selbst die Presseerklärung des Regionalgouverneurs ist ein Eingeständnis militärischer Barbarei. Zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und PKK sei es zu dem betreffenden Zeitpunkt nicht gekommen. Vielmehr habe man eine bäuchlings liegende, männliche Leiche entdeckt. „Zur Identifikation war es notwendig, die Person umzudrehen. Es herrschte die Befürchtung, daß eine Bombenfalle gelegt war. Weil in diesem Augenblick kein Seil gefunden wurde, um die Leiche zu bewegen, wurde das Abschleppkabel des Fahrzeuges der Sicherheitskräfte genutzt. Nachdem es zu keiner Explosion kam, erfolgte die Autopsie, die feststellte, daß der Betreffende nicht aufgrund einer Feuerwaffe starb, sondern erstickte.“

Die Erklärung ist voller Widersprüche. Aus der Gesamtserie der Fotos geht hervor, daß Ugur Dündar während der Anbringung des Kabels bewegt wird. Ein klarer Beleg, daß eine Bombe nicht befürchtet wurde. Nach der Version des Gouverneurs ist der Umstand, daß Leichen bis in nächste Dorf hinter Panzern hergeschleift werden, offensichtlich „normal“.

Nur vier Tage nach der Aufdeckung des deutschen Schützenpanzers, der in Kurdistan einen Mann hinter sich herschleift, veröffentlichte Özgür Gündem eine Serie von Fotos aus Familienalben türkischer Soldaten. Soldaten, die stolz mit ihren Stiefeln auf Leichen toter Guerilleros treten. Sie erinnern an Erinnerungsfotos von Jägern nach der Erlegung eines Bären. Der einzige Unterschied ist, daß es sich hier um Menschenjagd handelt. Nach Erlegung blicken die Jäger entzückt in die Kamera.

Die Fotos des deutschen Schützenpanzers haben deutsche Politiker erneut in Bedrängnis gebracht. Aufgrund von Bildern, die den Einsatz von NVA-Panzern gegen Kurden zeigten, waren im März deutsche Rüstungslieferungen in die Türkei gestoppt worden. Die Türkei habe wider den Nato-Vertrag, der den Einsatz der gelieferten Waffen nur gegen äußere Feinde erlaubt, gehandelt, begründete Bonn damals den Rüstungsstopp. Türkische Politiker und Medien starteten daraufhin eine antideutsche Kampagne. Bereits im Juni wurde das Waffenembargo gegen die Türkei aufgehoben. Die Türkei sagte den Deutschen zu, daß die Waffen nur im Nato-Rahmen eingesetzt werden. Im Juli herrschte Frieden. „Wir schätzen die Fortschritte der Türkei auf dem Gebiet der Menschenrechte“, frohlockte Außenminister Klaus Kinkel in Ankara.

Ein Pech, daß Özgür Gündem vergangene Woche die Fotos veröffentlichte. Das Auswärtige Amt kam nicht darum herum, den türkischen Botschafter in Bonn am Montag ins Auswärtige Amt zu zitieren. Die Deutschen erinnerten erneut an den Nato-Vertrag. Der Botschafter wiederholte gegenüber Staatssekretär Dieter Kastrup die Version des Regionalgouverneurs. Doch die Deutschen sind – NVA-Panzer hin, NVA Panzer her – vorerst nicht auf einen erneuten, großen Krach mit der Türkei erpicht. Außenamtssprecher Hans Schumacher spricht davon, daß Bonn „vollstes Verständnis“ dafür habe, daß die Türkei sich gegen terroristische Aktivitäten wehrt. Schumacher signalisierte, daß sich Bonn mit der eingeforderten offiziellen Stellungnahme der Türkei zufriedengeben werde. Die Angaben des türkischen Botschafters seien nicht widerlegbar. Nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion Hans- Ulrich Klose zeigte sich der türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel optimistisch: „Die Deutschen sind sauer. Aber ich glaube nicht, daß es die deutsch-türkischen Beziehungen belasten wird. Es gibt fast keine Reibereien in den deutsch-türkischen Beziehungen.“ Auch der Verteidigungsausschuß des Bundestages unter Leitung seines Vorsitzenden, Fritz Wittmann (CSU), weilt derzeit in Ankara. „Die Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen auf verteidungspolitischem Gebiet“ ist angesagt.

Die Deutsche Presse-Agentur verbreitete gestern die Falschmeldung, daß „die von Ankara bekämpfte, militante Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (die Fotos) veröffentlicht hatte.“ Dadurch drängt sich der Eindruck auf, die Fotos seien Manipulationsinstrument der Guerilla. Doch es war die Tageszeitung Özgür Gündem, die die Fotos veröffentlichte. Die einzige Tageszeitung in der Türkei, die ihre Kurdistan-Berichterstattung nicht im Sinne des herrschenden Regimes betreibt. Die Zeitung hat ihren mutigen Journalismus mit schweren Opfern bezahlen müssen. Im Laufe ihres fünfmonatigen Bestehens wurden vier Autoren und Redakteure von „unbekannter Hand“ ermordet.

Wie sehr der türkische Staat Fernsehen, Rundfunk und Tagespresse unter Kontrolle hat, zeigte sich daran, daß nach der Veröffentlichung der Fotografien kein Medium den Skandal aufgriff. Die Nachricht und die Fotos wurden buchstäblich totgeschwiegen. Erst nach dem Konflikt mit den Deutschen melden sich türkische Kommentatoren zu Wort. Zum Beispiel der bekannte Kolumnist Yalcin Dogan in der Tageszeitung Milliyet: „Die Fotos führten zu Aufmerksamkeit in den bekannten Kreisen im Westen. Insbesondere bei den Deutschen. Die Deutschen, die nie akzeptiert haben, daß die Türkei mit dem Terror konfrontiert ist, der unschuldige Menschen und die Einheit des Landes bedroht, werten die Fotos als ,Menschenrechtsverletzung‘“.

Doch einem Einvernehmen mit den Deutschen steht nichts im Wege. Unverzichtbar sind die NVA-Panzer ja nicht, um den Krieg in Türkisch-Kurdistan fortzuführen. Die Fotos mit den Soldaten, die Bärenjägern gleich Menschen erlegen, können ruhig weiter in Özgür Gündem erscheinen. Schließlich hat all dies nichts mit dem Nato-Vertrag zu tun.

Die Fotos:

Die türkischen Bildunterschriften im Wortlaut:

– Der Verletzte

– ...wird angebunden

– Das Abschleppkabel kommt an den Schützenpanzer

– Er wird geschleift

– Er stirbt auf dem Weg

– Er wird ausgestellt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen