: A Wuiderer
Der bayerische Sänger und Volkstribun Hans Söllner und die Gewalt der Sprache ■ Ein Interview von Christoph Wagner
„I mecht so gern mein linken Fuß do hinstöi'n, wo'n der Bob Dylan scho g'hobt hot. Aber bloß den linken, den rechten brauch' i zum Arschtreten.“ Hans Söllner eröffnet seinen Auftritt im Circus Krone, Münchens ältester und schönster Konzerthalle, mit einer Art „explicit lyrics“. Auf der Bühne zwei lächerlich kleine Lautsprecherboxen, ein Mikro, eine akustische Gitarre und ein Sofa — „von der Oma“, wie er sagt. Da sitzt der Sänger aus dem Süden, allein vor 2.000 Leuten. Seit Wochen ist die Halle ausverkauft, und das ohne große Werbung und Medienrummel. Söllner ist vom Untergrundsänger zum Volkstribun aufgestiegen, der allein durch Mundpropaganda von seiner „Hey Staat!“-Platte annähernd 100.000 Stück verkauft hat.
Im Handumdrehen hat er seine Zuhörer zu Komplizen gemacht. Aggressiv, vulgär, beleidigend, lacht, tobt und schimpft er für sie, mit ihnen und manchmal auch über sie. Sein minimalistisches Programm aus Songs, Sprechgesang, Erzähl- und Fabulierkunst verteidigt das Recht auf eine „gemeine“ Sprache. Söllners „feiner Gesang der Axt“ erreicht auch jene Typen mit tätowierten Muckies, die die Theoretiker der Zivilgesellschaft schon längst aufgegeben haben.
taz: Egal, was diverse Kritiker von Dir als Sänger und Künstler halten, was sie alle verblüfft, ist Dein Publikum und wie Du mit ihm umgehst.
Hans Söllner: Mein Publikum trifft man auf normalen Popkonzerten nicht, weil sie komisch aussehen, oder weil man sie nicht haben will. Im Grunde genommen bin ich einer von ihnen. Das habe ich nie vergessen. Mich stören die Künstler, die irgendwann vergessen haben, daß sie auch einmal kleine Arschlöcher waren und dann, wenn sie groß rausgekommen sind, ihr Publikum, die Leute also, die ihnen ihren Lebensstil ermöglichen, wie die letzten Deppen behandeln. Ich geh um 4 Uhr von zu Hause weg, um 8 geh ich auf die Bühne, und dann fahr ich wieder heim. Ich meine, da hat sich nicht viel verändert in meinem Leben. Ich unterbreche meinen Tag für ein paar Stunden, aber ich verkleide mich nicht und mache keine Show – ich bin einfach ich. Das Publikum versteht meine Sprache, versteht, was ich sage. In meine Konzerte kommen Punker, Abgefuckte, Fertige, Rocker, Alte und Junge, Blöde und Gescheite – all die Leute, die man sonst auf keinem Konzert sieht. Die schreien und lachen eine Stunde lang mit mir und sind dann im ruhigeren Teil eine Stunde lang mit mir ruhig. Ich bin froh, daß diese Leute in meine Konzerte kommen. Die sind mir am Arsch lieber als andere Leute im Gesicht.
Glaubst Du denn, daß Du mit Deinen Liedern etwas verändern kannst?
So wie das Ganze momentan läuft, kann ich mir eine Welt ohne Menschen leicht vorstellen. Aber ich bin lieber so arrogant zu glauben, es könnte sich doch noch etwas ändern. Ich habe Lieder geschrieben, wegen denen kommen Leute in meine Konzerte. Wenn unter hundert einer ist, der sich etwas überlegt, hab ich schon etwas erreicht. Die Leute nehmen vieles in Kauf, obwohl sie nicht immer meiner Meinung sind, weil sie darauf warten, daß irgendwann halt doch der „Marihuana-Baum“ kommt. Und vielleicht haben sie dann ganz nebenbei noch etwas kapiert. Im Grunde habe ich eine Möglichkeit gesucht, mich mitzuteilen – sie akzeptieren es so, wie es ist. Natürlich interpretieren manche etwas falsch und glauben, sie könnten ihre Scheiße im Hirn gegen Ausländer oder Schwule ausleben. Ich arbeite aber damit, daß sie sich dabei schämen, daß ich sie erwische. Ich ertappe sie dabei, wie sie mitsingen beim „Schönhuber“, ich ertappe sie bei ihren Vorurteilen. Und dann haue ich ihnen meine Sicht um die Ohren, und sie respektieren das.
Was sagst Du dazu, daß eine beträchtliche Anzahl von Leuten sich mit Dir identifiziert?
Sie identifizieren sich nicht mit mir, weil sie oft falsch finden, was ich sage. Oder sie haben die Haltung: Mach Du das für uns, sag Du das denen da oben! Ich mache nichts, nur um den Leuten zu gefallen, auch wenn es zehntausend sind. Ach doch, duschen tu ich mich schon vorher. Im Grunde genommen spreche ich ja nur das aus, was ein Lehrling seinem Chef nicht sagen kann. In der Schule bist du unterdrückt, in der Lehre und zu Hause – überall kriegst du eine auf den Sack, der Punker wie der Lehrling, und ich geb's ihnen allen, dem Chef, dem Lehrer, dem Politiker. Ich vermittle ihnen, daß du auch als Depp was sein kannst. Es ist egal, was du bist, du mußt nur auf deinem Weg bleiben. Ich zeig denen, daß es schön ist, wenn man irgendwo hingehört und trotzdem frei sein kann, und gleichzeitig nicht vergißt, daß es Menschen gibt, die anders sind.
Sind die Politiker, die Du so hart angreifst, denn wirklich die Mächtigen, sind sie nicht eher bloß Figuren eines Systems?
Ich sage Staat dazu. In meinem Lied benenne ich die Großen und Mächtigen. Das kann der Vater sein, der Lehrer, der Lehrherr, der Chef oder der Politiker – eben jeder, der Druck ausübt.
Machst Du es den Leuten dadurch, daß Du stellvertretend für sie die Konfrontation mit den Mächtigen suchst, nicht auch leicht? Sie brauchen sich nicht mehr selber zu wehren. Du bist doch das Ventil für ihre Wut.
Ich bin absolut überzeugter Pazifist. Ich bin gegen jede Art von Gewalt, egal ob sie sich gegen Dinge oder Menschen richtet. Ich bin allerdings für die Gewalt der Sprache. Ich glaube, daß ich mehr erreiche, wenn ich auf der Bühne tausend Leuten sage, daß Kohl eine Drecksau ist, und sich dann eine ganze Menagerie von Richtern und Staatsanwälten mit mir beschäftigen muß, als wenn ich meine Konzertbesucher dazu aufwiegele, daß sie rausgehen und Autos kaputthauen.
Wie bist Du denn zum Volkstribun geworden?
Wenn es darauf ankam, hab ich lieber den Job gewechselt, als mich zu rasieren. Ich hab gesagt, da verdiene ich lieber 200 Mark weniger, aber ich hab meinen Bart. Ich möchte mich nicht einschränken in meinem Leben und wenn das jemandem nicht paßt, kann er mich am Arsch lecken. Es gibt doch so viele, die ihr Leben ändern möchten – aber möchten und können, das sind zwei Paar Stiefel. Ich hab vor zwölf Jahren angefangen zu singen, und damals war es noch einfacher auszusteigen. Ich habe zwei Kinder, die etwas zu essen haben müssen, die nicht in einer Bruchbude aufwachsen sollen, und natürlich lege ich auch Wert auf ein wenig Komfort. Aber bevor ich das Maul halte, muß schon verdammt viel passieren. Ein demokratischer Staat muß es verkraften, daß über seine Politiker hergezogen wird, und wenn er das nicht aushält, dann ist er nicht liberal und nicht demokratisch, sondern ein Scheißstaat – und das sage ich dann auch. Ich mach das nicht aus Gaudi oder wegen des Geldes. Das ist nur eine schöne Begleiterscheinung.
Kritiker hauen Dich manchmal schwer in die Pfanne. Sie bemängeln Dein dürftiges Gitarrenspiel. Stört Dich das?
Quatsch! Wenn mich das stören würde, dann würde ich das zu ändern versuchen. Aber ich hab halt das Glück gehabt, daß ich mit nur drei Akkorden zwanzig Lieder spielen kann – und das können eben nur drei auf der Welt – Bob Marley, Bob Dylan und ich. Ich begreif die Gitarre wirklich nur als ein Hilfsmittel, damit ich keine Gedichte aufsagen muß.
Es laufen etliche Gerichtsverfahren gegen Dich wegen Verleumdung, Volksverhetzung und Beleidigung von Politikern. Welche Auswirkungen hat das auf dein Leben?
Das ist nicht schlimm, höchstens, daß der Ärger mit den Gerichten etwas nervt. Alles, was passiert ist, hat mich bloß bekannter gemacht. Den Gauweiler hab ich einfach niedergerannt und dann kam der Blüm, den hab ich auch niedergebrettert. Denen tut es doch mittlerweile leid, daß sie das angezettelt haben. Sie haben damit meinen Bekanntheitsgrad drastisch erhöht. Für mich ist eigentlich egal, was dabei herauskommt, ich kann nur gewinnen. Es zu stoppen, geht auch nicht mehr. Sie können nicht mehr rechtfertigen, wofür das Geld hinausgeworfen wird, wenn sie beispielsweise Beamte in meine Konzerte schicken. Ich bin sicher, daß ich in der letzten Instanz, beim Bundesverfassungsgericht, Recht bekomme.
Du machst also gerichtlich weiter?
Ich muß. Wenn ich jetzt aufhören würde, hätten sie es beim
Nächsten viel leichter, das ist das Problem.
Eines Deiner zentralen Themen ist der Ausverkauf Deiner bayerischen Heimat. Welches Verhältnis hast Du zu Bayern?
Ich wohne gern in Bayern. Ich möchte nicht in Köln oder am Stadtrand von Hamburg wohnen, wie schön es dort auch sein mag. Ich möchte nur hier wohnen. Aber ich möchte auch, daß sich einige Dinge hier ändern. Daß ich selbst nicht viel verändern kann, ist mir schon klar. Aber ich möchte wenigstens sagen, daß vieles von dem, was gemacht wird, Scheiße ist. Der eine rastet aus, wenn er gereizt wird, der andere geht ins Fitness- Studio und trainiert. Ich geh halt auf die Bühne und schreie: Ihr seid fette Drecksäue! Das ist meine Art, mich auszukotzen.
Und was ist mit Deutschland?
Ich lebe in einem Kleinstaat, ich bin ein Bayer. Der Rest geht mir am Arsch vorbei. Das heißt allerdings nicht, daß ich anderen nicht helfe. Trotzdem – ich bin stolz, daß ich ein Bayer bin, was bedeutet, daß ich nicht stolz bin, ein Deutscher zu sein. Ich weiß ja nicht einmal, wieviele Bundesländer es gibt. Ich fühl mich Bayern zugehörig. Vom vereinigten Europa halte ich überhaupt nichts. Die Großen bestimmen, wer oder was das ist: Europa, und die Kleinen haben wieder keine Chance, genauso wenig wie vorher.
Wie siehst Du die deutsche Einheit?
Da kann ich nichts Tröstliches sagen, wenn ich sehe, was da abläuft. Der Traum von der Einheit hat nicht funktioniert. Weil die in der Ex-DDR nicht in kurzer Zeit erreicht haben, wofür andere 40 Jahre gebraucht haben – das sind die Ausländer – und ihre eigenen Stasi-Leute lassen sie in Ruhe. Man sollte die Mauer wieder aufbauen, vielleicht nicht so hoch, damit sie noch rüberschauen können. Es geht ja nicht darum, daß man nicht hilft, aber man kann so helfen, daß sie sich selber was aufbauen können, nicht von oben gesteuert.
Du bekennst Dich dazu, Drogen zu nehmen, Du propagierst es beinahe. Manche halten das, angesichts der steigenden Zahl von Drogentoten, für verantwortungslos.
Vieles ist Droge: Alkohol, Nikotin, Koffein. Du gehst zum Zahnarzt und läßt dir was spritzen, damit du stumpfsinnig wirst, keinen Schmerz mehr fühlst. Alle Kulturvölker haben Drogen genommen. Wichtig ist, wie du damit umgehst. Ich rauche Marihuana. Das ist eine Droge, mit der ich umgehen kann. Ich könnte wahrscheinlich nicht mit LSD umgehen. Kein Mensch kann das. LSD, Kokain, Heroin und andere Sachen – das sind Drogen, die nehmen dich. Aber Marihuana, das kannst du so benutzen, daß es dir etwas bringt. Du kannst auch blöd davon werden, wenn du es dauernd rauchst. Ich rauche nur, wenn es mir gutgeht.
Wie stehst Du zur Legalisierung von Drogen?
Alle Drogen sollten erlaubt sein. Die gesamte Beschaffungskriminalität würde dann wegfallen, aber der Staat will das nicht. Das System „Staat“ kann doch besser existieren, wenn es mehr Kranke gibt. Jeder hat doch eine Eigenverantwortlichkeit. Das geht doch jeden nur selbst etwas an.
Du trittst solo auf, aber auch mit Reggae-Musik mit deiner Band „Bayerman Vibrations“. Du verehrst die Rastas und Jamaica. Wie kommt's?
Der Reggae verträgt sich gut mit der bayerischen Sprache. Und die Bayern sind genauso blöd wie die Typen auf Haiti und Jamaica und verkaufen ihr Land an die Touristen. Ein paar Bayern stehen allerdings auf und lassen sich das nicht mehr gefallen und einer davon bin ich. Ich weiß, wo meine Wurzeln sind, jeder Rasta weiß, wo seine Wurzeln sind. Jeder Mensch muß das wissen. Das ist das Problem der DDRler. Sie wissen nicht, wo ihre Wurzeln sind. Meine Wurzeln sind nicht in Berchtesgaden, die sind in Weißbach. Ich seh das nicht so groß, ich seh das in Blumentopfgröße. Wenn ich weiß, wo ich hingehöre, dann kann ich dort etwas machen. Ich gehe auch nach Jamaica, aber bloß für drei Wochen – dann will ich den Watzmann wieder sehen.
Bob Marley ist eines der Idole. Hättest Du ihn gerne einmal getroffen?
Ich bin eigentlich froh, daß ich ihn nicht kennengelernt habe. Manchmal ist es besser, wenn Träume nicht Wirklichkeit werden. Man sieht das ja momentan am Traum der Wiedervereinigung.
Unter den Rastas gibt es viele Gläubige. Wie hältst Du es mit Kirche und Religion?
Ich halte von beidem überhaupt nichts. Religion und Kirche waren immer Zwang. Aber ich halte viel vom Glauben. Ich suche mir von jeder Religion das beste für mich heraus. Ich glaube, daß es nach dem Leben weitergeht, sonst wüßte ich nicht, wofür ich eigentlich da bin. Der Glaube ist wahnsinnig wichtig.
Bist Du deshalb so populär, weil Du den Leuten nie das Gefühl vermittelst, besser als sie zu sein?
Ich hab einen Vorteil den anderen gegenüber. Ich hab mich nie einsam gefühlt, wenn ich mit mir alleine war. Ich habe mir meine Lebenseinstellung selber gemacht, und ich glaube, sie ist respektabel. Ich fahr nicht mit 100 durch die Ortschaft, klaue keiner Oma die Handtasche, gehe nicht zu meinem Nachbarn rüber und mache einen Kratzer an seinem BMW, weil ich mir sage, was fährst du einen BMW, du Arschloch? Ich war nie jemandem etwas neidig. Ich hab nur mein Leben gelebt. Mehr wollte ich nicht. Ich wollte immer möglichst wenig arbeiten, weil ich mir gesagt habe, die Zeit, die ich an der Isar verbringe oder auf der Hausbank, die kann mir niemand bezahlen.
Bist Du eine Art bayerischer Freischärler?
A Wuiderer!
Neu erschienen: „...der Charlie“, Trikont 0186; davor: „Hans Söllner Live“ mit Bayerman Vibration, Trikont 0176; „Hey Staat!“, Trikont 0161; alle im Vertrieb der EFA.
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