: „Nationaler Rettungsbund“ für altes Rußland
■ Rot-braune Gruppen halten Kongreß ab/ Zentristen verstärken Druck auf Jelzin
Ein „großer Moment in der russischen Geschichte“ sei der Gründungskongreß des „Nationalen Rettungsbundes“. Dies glauben zumindest die Organisatoren des Kongresses, der am Samstag in Moskau eröffnet wird. Über zehn Parteien, Organisationen und Fraktionen hatten sich schon vor einem Monat zusammengetan. Zu diesen selbsternannten Rettern gehören einschlägig bekannte Köpfe des nationalpatriotischen Spektrums, in dem sich von alten Kommunisten über Chauvinisten bis hin zu unverblümten Antisemiten alles tummelt. Unterstützung erhalten die „Rot-Braunen“ auch von bekannten Schriftstellern wie Bjelow und Rasputin. Ebenfalls mit von der Partie ist der „schwarze Oberst“ Alksnis, dem man schon zur Gorbatschowzeit Putschgelüste nachsagte.
Muß Jelzin dieses Konglomerat wirklich fürchten? Die russischen Konservativen sind alles andere als realitätsbezogen. Sie träumen von der „Idee der nationalen Wiedergeburt“. Wohlgemerkt – in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion. Obwohl diese Vereinigungen wie „die Russische Einheit“, die Parlamentariergruppe „Rossija“, „Trudowaja Rossija“ – das arbeitende Rußland – sich immer wieder medienwirksam in Szene setzen, fehlt ihnen noch die Massenbasis in der Bevölkerung. Im Parlament allerdings, das noch unter der Ägide der KPdSU gewählt wurde, sind sie überrepräsentiert. Sie stellen aber auch hier zahlenmäßig keine Gefahr für den Präsidenten dar, vorausgesetzt, die schlagkräftigere Opposition, die sich schon im Sommer in der „Bürgerunion“ formiert hatte, scheut weiterhin den Schulterschluß mit den Erzreaktionären.
Die „Bürgerunion“ bezeichnet sich selbst als „konstruktive Opposition“. Mit ihren Galionsfiguren Vizepremier Alexander Rutskoj und Arkadij Wolskij verfügt sie über zwei einflußreiche Köpfe. Wolskij repräsentiert den Verband der staatlichen Industriebetriebe, er ist das Großhirn der „roten Direktoren“. Der Bürgerunion gehören neben dem Industriellenverband die „Demokratische Partei Rußlands“ und Rutskojs Hausmacht, die „Volkspartei Freies Rußland“, an. Kürzlich gesellte sich noch die Parlamentsfraktion „Smena“ (Wechsel) dazu. Als oppositionelle Kraft wirkten sie eher im Hintergrund, versuchten auf den Präsidenten direkt Einfluß zu nehmen. Was ihnen bisher auch gelang. Nach den Turbulenzen des letzten Volksdeputiertenkongresses, der Jelzin seiner Sondervollmachten berauben wollte, nahm der Präsident einige ihrer „Wunschkandidaten“ in sein Kabinett auf. Jelzin zeigte Kompromißbereitschaft und ließ sich auf eine liberal-zentristische Koalition ein, nachdem sich die Unterstützung der radikalen Reformer als zu schwach erwiesen hatte. Dieser Entwicklung trug Jelzin auch zu Beginn der parlamentarischen Sitzungsperiode Rechnung. Er kritisierte sein eigenes Kabinett und nannte die „Bürgerunion“ als ernstzunehmende und konstruktive Kraft noch vor den Radikaldemokraten.
Mit der Abstimmung über den Volksdeputiertenkongreß hat die „Bürgerunion“ jetzt die Taktik geändert und ist zum Angriff übergegangen. Geht es nach dem Willen Vizepremier Rutskojs, müßten sechs liberale Kabinettsmitglieder ihren Hut nehmen, unter ihnen auch Außenminister Kozyrew. Die meisten von ihnen verbindet nämlich eins: ihre kompromißlose Westorientierung, die Rutskoj für eine Demütigung Rußlands hält.
Noch ist das letzte Wort über den Kurs nicht gefallen. Mit Sicherheit wird Jelzins Rolle nicht angetastet, doch dürfte es ihm schwerfallen, weiteren Forderungen dieser Politiker zu widerstehen. Immerhin konnte er den Wirtschaftsreformer Gaidar halten. Und vor einer Koalition mit den Rot-Braunen schreckt die Bürgerunion zurück. Klaus-Helge Donath
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