: Bleibt das Tor offen?
■ Heute abend entscheidet Hamburgs SPD über ihr Verhältnis zur Asylfrage: An der Einwanderungsrealität wird das nichts ändern
über ihr Verhältnis zur Asylfrage: An der Einwanderungsrealität wird das nichts ändern
Heute abend steht Hamburgs SPD im Bürgerhaus des Einwanderer-Stadtteils Wilhelmsburg vor einer wichtigen symbolischen Entscheidung: Bleibt das Tor zur Welt auch für Flüchtlinge offen, oder soll sich die Welthandelsstadt gegen sie mit einer Verfassungsänderung wehren? Wie die Entscheidung des Parteitags auch ausfällt — sie wird an Ursachen und Realität von Einwanderung nichts ändern.
Der Trierer Politologe Claus Kernig hatte den Hamburger Genossen die Wahrheit am 8.Februar auf einer Klausurtagung ins Gesicht geschleudert: „Und da reden Sie noch von Asyl! Das ist doch lachhaft! Die werden kommen. Durch den Keller und durch den Schornstein — so wie wir im 19. Jahrhundert, als acht Prozent der europäischen Bevölkerung auswanderten.“ Bedeutsam ist die Entscheidung heute allerdings für das politische Klima. Kann das völkische Empfinden durch Gesetzesgesten beruhigt werden? Zündeln Grundgesetzbruchwerker nicht erst recht am brisanten Haßfachwerk? Müßte man nicht endlich zur Einwanderungsrealität stehen?
Stadtchef Henning Voscherau (SPD), seit Monaten verstört vom Zusammenbruch des bundesdeutschen Nachkriegskonsens, ist durch die pogromartigen Anwandlungen sozialdemokratischen Urgesteins, Fremdenhaß und Sozialhilfeneid in seinen nicht sonderlich stabilen Grundfesten erschüttert. Seine Schlußfolgerung: Wir müssen Deutschland und Europa gegen die Einwanderer zumindest formal abschotten, sonst drückt uns der Mob bei den Wahlen nahe 30 Prozent. Diese Angst teilt Voscherau mit seinem bajuwarischen Kollegen, Münchens OB Georg Kronawitter.
SPD-Landesparteichef Helmuth Frahm treibt anderes um. Er sieht den Bruch zwischen Bevölkerung und Politik in der Unfähigkeit der Politik, Probleme wirklich zu lösen. In der Tat, es ist schon seltsam: Während Hamburgs Innensenator gegen das Asylrecht kämpft, verschifft die Bundesregierung NVA-Panzer per Hamburg in die Türkei, die dort neben Tod und Elend auch Asylbewerber für Hamburg produziert.
Vielleicht geht aber auch diese Sichtweise an der Sache vorbei. Das seriöse Standardwerk „Hamburg, Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner“ konstatiert: „Keine Stadt hätte ihre Einwohnerzahl durch die Gegebenheiten der natürlichen Bevölkerungsbewegung halten können. Sie war auf Kräftezustrom von außen angewiesen.“ Schon bei der Entstehung Hamburgs im 9. Jahrhundert ging es bunt zu: Franken, Slawen, Wikinger, Sachsen, Friesen und Sorben mischten sich. Der überwiegende Zustrom kam im Lauf der nächsten Jahrhunderte natürlich aus dem Umland. Hamburg profitierte aber auch von niederländischen Protestanten und Calvinisten, von Hugenotten wie portugiesischen Juden ... Die Bevölkerungsexplosion im 19.Jahrhundert wurde hauptsächlich von Wirtschaftsflüchtlingen aus Mecklenburg getragen, die Hamburgs Wohlstand mit schufen.
Den Wirtschaftswunderjahren verdanken wir die Einwanderung von Südeuropäern und Türken. Ob Asylanten, Aussiedler, oder Wirtschaftsflüchtlinge — Hamburg kann sie gut gebrauchen. Sie verjüngen die Stadt, beleben die Konjunktur, und sichern, wenn man sie nicht am Arbeiten hindert, Renten und Stadteinnahmen — kurz: die Zukunft Hamburgs. Florian Marten
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