: Gläserne Gebärmutter
KOMMENTAR
Gläserne Gebärmutter
Die Gebärmutter, „die einzige private Produktionsstätte, deren Sozialisierung die CDU schon immer gefordert hat“, wie der Kabarettist Martin Buchholz es ausdrückt, ist dank des medizinischen Fortschritts zunehmend zu einem gläsernene Organ geworden. Ärzte — und das sind noch immer überwiegend Männer — gucken dem werdenden Leben im Bauch der Mutter zu. Und immer frühzeitiger und immer genauer können sie ausspähen, ob der Sprößling mit allem ausgestattet ist, was der Mensch nach ihrer Ansicht braucht.
Der wirkliche Fortschritt der vorgeburtlichen Diagnose liegt darin, daß lebensbedrohliche Fehlbildungen erkannt und therapiert werden. Aber auch zum Beispiel das Down-Syndrom (Mongolismus) kann in den ersten Wochen der Schwangerschaft festgestellt werden. Es gibt Schwangere, die diese Untersuchung ablehnen, nicht nur, weil sie Risiken birgt, sondern weil sie auch einen Entscheidungszwang mit sich bringt. Denn was fängt eine werdende Mutter an mit der Botschaft, sie werde ein mongoloides Kind zur Welt bringen?
Noch kann ssie ihr Kind dennoch auszutragen. Aber der medizinische Fortschritt könnte irgendwann einen ungeheuren gesellschaftlichen Druck erzeugen und zu einer neuen Art der Elternschaft führen, die sich im Vorwege gegen alle Probleme absichert, mit Superbaby-Garantie. Eine erschreckende Zukunftsvision, daß Eltern von mongoloiden oder anders behinderten Kindern der Vorwurf gemacht wird: Das hätte doch nicht sein müssen!
Schöne neue Welt: Eine Gesellschaft, die keine „Fehlbildungen“ mehr duldet, die mit vorgeburtlicher Diagnostik festzustellen und per Abtreibung zu beseitigen sind — nach dem Motto: Behinderte sind teuer. Vera Stadie
Siehe Bericht auf Seite 18
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