: Töpfer macht Geschäfte mit dem GAU
Greenpeace blockiert in Greifswald einen Brennelemente-Transport an Schrott-AKWs in der CSFR und wirft Umweltminister Töpfer „Mithilfe für ein zweites Tschernobyl" vor ■ Aus Greifswald Thomas Worm
Ein wuchtiger Stahlwürfel mit „menschlichem Kern“ blockiert seit Sonntag abend das Eisenbahn- Tor 19 des AKW Greifswald. Etwa 30 UmweltschützerInnen von Greenpeace haben zwischen 19 und 20 Uhr mit ihrer Blockade die Lieferungen von frischen Brennelementen in das slowakische Atomkraftwerk Bohunice verhindert. Während sich eine Gruppe mit Bügelschlössern um den Hals am Tor festkettete, setzte ein Greenpeace-Laster mit Hebekran die Stahlbox mit der Aufschrift „Ein Tschernobyl reicht – Kein deutscher Atombrennstoff in CSFR-Schrottreaktoren!“ auf die Gleise vor dem Werkstor. In dem Container aus zehn Zentimeter dickem Stahl, der auf den Schienen „unverrückbar“ verankert wurde, haben sich zwei mit Proviant und Innenklo ausgerüstete Aktivisten verschanzt. Erst wenn der Betreiber des stillgelegten AKW Greifswald, die Energiewerke Nord, zusichert, keinen Atombrennstoff mehr in die CSFR zu „verticken“, werden die beiden ihre Spezialbox verlassen. Ein Polizeikonvoi von über zehn Fahrzeugen, der trotz rechtsradikaler Ausschreitungen gegen ausländische Studenten in Greifswald binnen 25 Minuten vorfuhr, zog sich einige Stunden später wieder zurück, nachdem sich der Einsatzleiter von den „gewaltfreien“ Absichten der Blokkade überzeugt hatte.
Bei dem jetzt von Greenpeace verhinderten Transport handelt es sich in diesem Jahr bereits um den vierten Teiltransport von Brennelementen in die tschechoslowakischen Atomkraftwerke Bohunice und Dukovany. Laut Greenpeace wurden in diesem Jahr insgesamt bereits 351 Brennelemente an die CSFR geliefert. Die 120 Brennstoffkassetten, die jetzt exportiert werden sollen, würden einen Weiterbetrieb des Reaktors in Bohunice um ein Jahr ermöglichen. Greenpeace-Sprecher Heinz Laing warf Umweltminister Klaus Töpfer „Mithilfe für ein zweites Tschernobyl“ vor: „Die doppelte Moral der Bundesregierung wird hier deutlich. Einerseits wird Töpfer nicht müde, die Notwendigkeit der Abschaltung tickender Zeitbomben in Osteuropa zu beteuern. Andererseits werden diese Anlagen mit deutscher Hilfe nachgerüstet und jetzt auch noch mit Brennstoffen befeuert.“ Von der Bundesregierung verlangten die Blockierer in einem Schreiben, ein entsprechendes Lieferverbot atomarer Brennstoffe aus Greifswald zu erlassen. Die Bohunice-Reaktoren 1 und 2 vom Typ WWER 440/230 sind bauidentisch mit den Blöcken 1 bis 4 in Greifswald, die Reaktoren 3 und 4 vom Typ WER 440/213 mit Block 5 in Greifswald. Aufgrund schwerer Sicherheitsmängel und weil es auch mit modernster Nachrüstungstechnik nicht auf deutsche Standards zu bringen gewesen wäre, mußte das AKW Greifswald 1990 endgültig abgeschaltet werden, während slowakische Meiler mit ausgemustertem Atominventar aus Deutschland weiterlaufen. „Im Inland werden höchste Sicherheitsstandards betont, im Ausland Geschäfte mit der Unsicherheit gemacht“, kommentiert Laing. Der GAU scheint dabei fast vorprogrammiert. Bereits 1977 war es im Atommeiler von Bohunice beim Auswechseln der Brennstäbe zu einer Kernschmelze gekommen. Aus einer Sicherheitsstudie der österreichischen Bundesregierung zum AKW Bohunice von 1990 geht hervor, daß „eine um den Faktor 100 höhere Wahrscheinlichkeit für schwerste Unfälle, ähnlich dem Unfall in Tschernobyl“, besteht. Dennoch sind nach den Informationen von Greenpeace mit den deutschen Brennelemente-Lieferungen keinerlei Auflagen zur Erhöhung der AKW-Sicherheit in Bohunice verknüpft. Der Atom-Deal, der die vier Teiltransporte von zusammen 460 Brennstäben umfaßt, sollte den unter Treuhand-Ägide stehenden Energiewerken Nord rund 60 Millionen Mark einspielen. Rechnet man den geplanten Verkauf von insgesamt über 700 Brennstäben hoch, so würde dadurch der Etat von Finanzminister Theo Waigel in Höhe einer dreistelligen Millionensumme entlastet. Die CSFR wiederum, deren Kraftwerkskapazitäten nicht einmal zu einem Drittel ausgelastet sind, benötigt den „Beinahe-GAU-Strom“ für Exportgeschäfte mit Drittländern.
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