: Koschnick soll den „guten Alten“ spielen
■ Die Scheuchs gaben Koschnick Gelegenheit für Bemerkungen über Bremer Klüngel
Erwin K. und Ute Scheuch, die Soziologen und Parteien-Kritiker aus dem Umkreis der Kölner CDU im Streitgespräch: Das mit dem Polit-Profi und Alt-Bürgermeister Hans Koschnick im sozialdemokratischen Bremen über „Filz und Seilschaften in der deutschen Politik“ — große Erwartungen mußten an die Begegnung im Foyer der Bürgerschaft am Dienstag abend gerichtet werden. Der Abend enttäuschte aber radikal und brachte ganz andere Einblicke in die Bremer Politiklandschaft.
Erste Erkenntnis: Unter den knapp 200 Interessierten kaum ein bekanntes Gesicht der Bremer CDU. Interesse an der Debatte, zu der ja auch der Bundespräsident Weizsäcker (CDU) beigetragen hat? Fehlanzeige.
Zweite Erkenntnis: Zu der Politik-Verdrossenheit und „Krise der Parteiendemokratie“ hat die Sozial- und Politikwissenschaft nichts zu sagen. Jedenfalls nicht die der Schule Scheuch. „Was bringen beide Scheuchs auf den Tisch?“, fragte Koschnick. Daß in den Parteien „Cliquen“ um Pfründe und Posten kämpfen, daß das „Kungeln-können mit dem politischen Gegner“ eine wichtige Qualifikation ist, war so neu nicht. Immer wieder bringen die beiden Scheuchs „das Volk“ als Kronzeugen ins Spiel, die Politiker sollten darauf „hören, was das Volk will“. Das Volk, zum Beispiel, will nicht mehr Ausländer, die politischen Funktionsträger machen aber noch Verbeugungen vor der „Kulturintelligenz“. Ute Scheuch beklagt sich: „Wenn ich mit Leuten über Ausländer rede und sie frage, wieviele sie in ihrer Wohnung aufgenommen haben, kriege ich häufig einen Vogel gezeigt.“ Ihr Mann, der Professor für Soziologie, klärt auf: „Ein Ausländer, der nicht reinkommt, muß auch nicht beschützt werden.“
Mehr Stammtisch als politikwissenschaftlichen Sachverstand verrät auch das Niveau der Reformvorschläge. Scheuch fragt: „Wäre ein präsidiales System nicht besser? „ Parteienunabhängige Entscheidungen seien notwendig, die „ganz oben“ angesiedelt sein müßten, will Ute Scheuch. Die Aufstellung der KandidatInnen über Parteilisten begünstige die Abhängigkeit von Klüngeln, nur Menschen über 30, die andere Lebens- und Berufserfahrung haben, sollten wählbar sein. Ein „Ältestenrat“ als dritte Kammer sollte eingerichtet werden. Mit welchen Kompetenzen, bleibt offen. Mehr als die vordemokratische, platonische Vision von den weisen Männern, die Macht nie mißbrauchen würden und frei von Fehlern sind, steckt nicht hinter der politischen Soziologie Scheuchs.
Alte erfahrene Politiker, die keinen persönlichen Ehrgeiz mehr haben, eben wie solche Koschnick, versucht Scheuch, dem Bremer sehr nahezutreten. Koschnick geht auf Distanz: „Sie kennen die Rachegelüste nicht eines...“. Koschnick stockt, verschluckt den Rest des Satzes: „Fragen Sie mal Barschel.“
Der Altmeister der politischen Rhetorik hatte die Scheuchs längst als Gegner ohne Wert erkannt und freute sich an der Chance, Andeutungen über Filz und Seilschaften und die Krise der Partei(en) in Bremen zum Besten zu geben. „Sind die Parteien oben so gut besetzt, daß auch gute Entscheidungen gefällt werden?“ fragte er und sagte gleich, daß er das für Bremen, wo er es beurteilen könne, bezweifle. Die SPD-internen Vorschläge zur Parteireform nach der Wahlniederlage halte er für „nicht ausreichend“. Die Frage sei, „wie kriegen wir genug qualifizierte Frauen und Männer, die bereit sind, gegen den Strom zu schwimmen“? Auch das führt aber nicht zwingend zu einer anderen Politik. So habe man in der Bremer SPD vor Jahren „eine ganz neue progressive Führungsmannschaft“ installiert, in allen Funktionen, erklärt Koschnick mit deutlicher Ironie. Wie sich aber herausgestellt habe, ändert das nichts. „Vielleicht ist man nur progressiv, solange man um Funktionen kämpft.“ Die beiden Scheuchs freuen sich über solche Bemerkungen und schienen gar nicht zu merken, daß Koschnick längst nicht mehr mit ihnen redet. Klaus Wolschner
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