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Bastardisierte Form

■ Weltweiter Streit um Kurzgeschichten von James Joyce

Die Welt der Joyceaner war bis vor kurzem in Ordnung: Das Werk des irischen Altmeisters war überschaubar, wenn auch nicht unbedingt leicht interpretierbar. Aber dafür gibt es ja die verschiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen, die das unter sich ausmachen. Neues war von dem Objekt ihrer Begierde nicht zu erwarten: James Joyce ist seit langer Zeit tot.

Dann kam jedoch der irische Literaturforscher Danis Rose, der dem erlauchten Kreis der Joyceaner bisher nicht angehörte. Und er fand sieben Kurzgeschichten, die Joyce angeblich zwischen „Ulysses“ und „Finnegans Wake“ verfaßt hat, später jedoch in einer „bastardisierten Form“ in „Finnegans Wake“ einarbeitete. Die Neuentdeckung wird, herausgegeben von Rose, im Frühjahr unter dem Titel „Finn's Hotel“ in London erscheinen. Rose nennt das Buch bescheiden die „wichtigste literarische Entdeckung des Jahrhunderts“.

Diese Behauptung brachte die offiziellen Joyceaner umgehend auf die Palme. John Kidd, Chef des James-Joyce-Forschungszentrums an der Universität Boston, tat Roses Fund als Kinderkram ab: „Seriöse Gelehrte haben Joyces Werke seit 30 Jahren studiert. Wie können die sieben Geschichten neu sein, wenn sie längst veröffentlicht sind?“ Sein Kollege David Hayman von der Universität Wisconsin haute in die gleiche Kerbe: „Roses Behauptungen sind albern. Ich habe dieselben Geschichten bereits 1963 unter dem Titel ,A First Draft Version of Finnegans Wake‘ herausgegeben.“

Der einzige Schönheitsfehler: Weder Kidd noch Hayman kennen Roses Buch. Rose zitiert den Münchner Wissenschaftler Hans Walter Gabler, der den Fund als „höchst aufregend“ bezeichnete. Gabler hatte eine umstrittene – und hochbezahlte – „Ulysses“- Version herausgegeben, die wegen grober Schnitzer stillschweigend eingestampft wurde. „Wahre Gelehrte sind wegen meiner Entdeckung aus dem Häuschen“, behauptete Rose, gibt im selben Atemzug allerdings zu, daß außer dem Verlag noch niemand das Werk zu Gesicht bekommen habe. Der Verlag, Viking Publishers in London, erklärte, er habe vollstes Vertrauen sowohl in den Text als auch in den Autor. James Joyce hätte seine helle Freude an den Auseinandersetzungen. Ralf Sotscheck

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