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Berliner Luft in Gläsern für die Nachfahren?

■ Nicht einmal ein Hundertstel der Luft ist verschmutzt/ Umweltpolitik erfolgreich Bonner Studie: Trotzdem sterben statistisch jährlich 970 BerlinerInnen an „dicker“ Luft

Die Luft riecht in diesen Tagen wieder verdächtig. Unsere Nasen nehmen den ihnen seit Monaten vorenthaltenen Geruch deutlich war, obwohl die Luft als solche eigentlich die alte ist. Wie immer setzt sie sich aus gut vier Fünfteln Stickstoff und einem Fünftel Sauerstoff zusammen. Wäre sie „rein“, bestünde ein letztes Prozent nur aus Edelgasen. Doch in diesem Hundertstel Teil des unsichtbaren Gasgemisches spielt sich die sogenannte Luftverschmutzung ab.

Mit Beginn der kühler werdenden Tage steigt in diesem Prozent der Anteil eines Schadstoffes besonders deutlich an – der von Schwefeldioxid. Viele BerlinerInnen setzen ihren Kachelofen in Betrieb, und weil sie noch immer überdurchschnittlich viel schwefelhaltige Braunkohle verfeuern, hat das mit dem herannahenden Winter auftretende „Luftaroma“ weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen – „Berliner Luft“.

Das Landesarchiv sollte diese Luft in Gläsern einwecken, damit auch unsere Nachfahren noch etwas von ihr haben. Denn Umweltsenatoren und -Senatorinnen sowie Bürgerinitiativen haben die Entstehung von Schwefeldioxid bereits erfolgreich minimieren können. 70.000 Tonnen haben vor zehn Jahren im damals eingemauerten Westberlin Kraftwerke, Industrie, Gewerbebetriebe und Haushalte in den Himmel geblasen. Heute ist die Menge auf 10.000 Tonnen gesunken. Im Ostteil der Stadt konnte der Ausstoß in den vergangenen zwei Jahren auf derzeit 25.000 Tonnen halbiert werden. Das für den speziellen Luftgeruch verantwortliche Schwefeldioxid soll weiter vermindert werden.

Schwefeldioxid macht den Regen „sauer“ und ist wesentliche Ursache des Wintersmogs. Das Dioxid entsteht vor allem bei der Verbrennung in Kraftwerken und Ofenheizungen. SO2 konnte durch schwefelarme Brennstoffe und den Einbau von Entschwefelungsanlagen in Kraftwerken so drastisch reduziert werden. Schon ist absehbar, daß durch den Kampf gegen die Kachelöfen die Ofenheizung nur noch im Museum zu finden sein wird. Und manch östlicher Industriebetrieb läuft Gefahr, selbst Museum zu werden. 60 Prozent der Betriebe halten die bundesdeutschen Grenzwerte nicht ein, die auch für sie ab 1996 gelten. Nach Angaben der Umweltverwaltung bläst jeder achte Betrieb soviel Schmutz in den Ostberliner Himmel, daß er bereits in zwei Jahren die Grenzwerte einhalten muß.

Weil im vergangenen Jahrzehnt bei der Industrie ein wenig aufgeräumt werden konnte, wird jetzt ein anderer Sektor zum „Schmuddelkind“. „Die Schadstoffe des Verkehrs müssen reduziert werden“, sagt Adolf Mehring, Luftexperte der Umweltverwaltung. Aus den 1,3 Millionen Auspüffen der in Berlin gemeldeten Kraftfahrzeuge kommen Unmengen von Stickoxiden, Benzol und Dieselruß. Forcieren die Stickoxide im Sommer die Ozonbildung – bekannt unter „Sommersmog“ –, sorgen Benzol und Dieselruß das ganze Jahr über für die Bildung von Blut- und Lungenkrebs. Nach einer von der Umweltministerkonferenz erarbeiteten Studie sollen in Berlin jedes Jahr alleine 970 Menschen auf Grund schlechter Luft an Krebs sterben.

In Berlin werden die von Bonn geplanten Grenzwerte für Benzol und Dieselruß in mehreren Straßen, die für Stickoxide in 70 Prozent aller Straßen innerhalb des S- Bahn-Rings überschritten. Die Umweltverwaltung dränge darauf, daß im Januar 1994 das „Kat-Konzept“ eingeführt wird, berichtet Mehring. „Dreckschleudern“, also Autos ohne Katalysator, müßten innerhalb des S-Bahn-Rings für das Befahren der Straßen zahlen. Die Schadstoffbelastung würde zurückgehen. Doch ob der dafür zuständige Verkehrssenator den Termin einhalten will, ist offenbar ungeklärt.

Die Grünen, immer gut als Indikator für den Erfolg von Umweltpolitik, „stänkern“ trotz besserer Luft. In der Abgastechnik hinke die Bewag westdeutschen Energiekonzernen unnötig hinterher, sagt Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne. Auch vom Kat-Konzept hält Berger wenig. Der Verkehr werde zunehmen, die Luftverschmutzung schlimmer werden. Dirk Wildt

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