: Skelettkreise im hygienischen Gespräch
■ Die Kunst-Studienstätte in Ottersberg wird 25 / KunsttherapeutInnen auf Steiners Pfaden: verspottet, gefragt
Der Kunstmarkt verachtet und bespöttelt sie, psychosomatische Kliniken, Altenheime und Behinderteneinrichtungen lecken sich die Finger nach ihnen: anthroposophisch orientierte KunsttherapeutInnen sitzen zwischen allen Stühlen und haben doch ihren Platz gefunden in unserer Therapiegesellschaft.
Die Geburtsstätte
des „Kunsttherapeuten“
Kunsttherapie: Das Berufsbild ist recht neu; die Bundesanstalt für Arbeit gibt seit einigen Jahren eine Broschüre heraus, die die KunsttherapeutIn definiert. Autorin: Rose Maria Pütz, die zusammen mit ihrem Mann Siegfried die „Kunst-Studienstätte“ in Ottersberg bei Bremen gründete. Hier wurde vor 25 Jahren der „Kunsttherapeut“ erfunden. Am Donnerstag letzter Woche feierte die Kunsthochschule das Jubiläum mit einem Festakt in Anwesenheit von Regierungsvertretern aus Hannover.
Rudolf Steiner stand Pate; seine Schriften sind bis heute Bibel in Ottersberg. Siegfried Pütz — er starb 1979 — war seit seiner Jugend mit ihm bekannt, er bildhauerte im Anthroposophen- Zentrum in Dornach; das Ehepaar Pütz arbeitet lange in der Ottersberger Waldorf-Schule. Die langjährige Schulleiterin, 79 Jahre alt, aber „inwendig jung“, sieht heute die Gründung der Kunst-Schule 1967 als Reflex auf die 60er-Bewegungen: „Wir haben ja vorher, 1961-1967, als Künstler in der Industrie gearbeitet. Das war Sensation: In der Arbeitszeit haben wir mit den Jungarbeitern, Handlangern, Sonderschülern in den Büttner- Werken in Krefeld-Uerdingen kreativ gearbeitet. Zuerst haben die uns ausgelacht, die waren todverlegen. Hinterher lauerten sie, ob ein Bild von ihnen hängt und ernstgenommen wird. Unsere Jungarbeiter klauten, knackten Autos und vergewaltigten. Das hat im Laufe unserer Arbeit aufgehört, nichts, gar nichts ist mehr gewesen. Wir erfuhren damals, wie erfolgreich man sein kann. Und wir spürten, wir zwei allein sind nicht genug.“
„Evolution statt Revolution“: Man gründete 1967 mit sieben Student Innen, unter ärmlichen Bedingungen. Ein Glück waren gute Beziehungen zum Hause Ernst Albrecht (seine Frau legte 1987 den Grundstein zum wegen der „anthroposophischen Architektur“ besonders auffälligen Neubau an der Bundesstraße).
Evolution statt Revolution
Es setzte ziemlich bald ein derartiger Run auf die anthroposophische Akademie ein, daß in den 80ern eine Wartzeit von fünf Jahren üblich war. 1984 wurde die Kunst-Studienstätte staatlich anerkannt: Frau Pütz durfte sich Professor nennen und Diplome verteilen. Der Regierungsverlust der niedersächsischen CDU traf doppelt schwer: Die Sozis zeigten keinerlei Interesse an anthroposophischer Kunsttherapie, geschweige denn an einer privaten Hochschule. Bis heute gibt's vom Staat kein Geld.
Mittlerweile werden allerorts Kunsttherapeuten ausgebildet — zum Leidwesen der Puristen der „Pütz-Linie“. Rose Maria Pütz: „Damals überlegten wir, wie nennen wir das Kind? Wir nannten es Kunsttherapeut. Und ahnten nicht, daß das einmal weltweit ein Begriff sein würde. Und daß allerhand Leute das probieren, ohne die Voraussetzungen zu haben. Wie man aufpassen muß als Kunsttherapeut! Wer weiß schon, daß Farbe unter Umständen mehr schaden kann als eine falsche Medizin?“ Sie ist der Überzeugung, daß Farben auf Organe wirken können und hat eine Farbtherpie zur Behandlung kranker Organe entwickelt.
Äußerlich steht die Kunst- Studienstätte im Jubiläumsjahr solide und erfolgreich da. Schöne lichte Ateliers, namentlich im Neubau, 340 Student Innen teilen sich 20 Dozenten, die Atmospäre ist überall freundlich bis herzlich. In der Mensa mit hervorragendem Bio-Essen stehen Kerzen auf dem Tisch. Das Vorlesungsverzeichnis verspricht allerlei Seltsames wie „Kosmische Embriologie“, „Das Kind zwischen Zahnwechsel und Pubertät“, „Drei Skelettkreise“, „Das hygienische Gespräch“ und „Planetenqualitäten“. Die StudentInnen loben in erster Linie die praktischkünstlerische Ausbildung, die „erlebnisorientiert“ ist und ausdrücklich undogmatisch zur eigenen künstlerischen Freiheit erziehen will. In der Tat sind die Ausstellungen der Absolvent Innen nur noch selten ein Spiegelbild der klassisch-anthroposophischen Formenlehre (keine rechten Winkel, flache Rundungen, beschauliche Farbwahl gemäß der Goetheschen Farbenlehre...).
Kosmische Embriologie,
erlebnisorientiert
Daß sich hinter der Fassade oftmals recht elende Zustände verbergen, erfährt man schnell — mit dem Schulgeld von 330 DM im Monat kann die Studienstätte keine großen Sprünge machen. Ihre Dozenten erhalten nur gut die Hälfte des Geldes ihrer Kollegen im Staatsdienst. „Schulden machen alle,“ weiß der Hochschullehrer Michael Kohr (Malerei), der selbst jeden Monat Mutter und Schwiegermutter anpumpen muß, um ca. 1.000 Mark Defizit auszugleichen. Geschichte von verarmten Student Innen machen ebenfalls die Runde. Mülltonnen wurden schon durchsucht, umgebaute Hühnerställe bewohnt — Ottersberg dankt für die guten Geschäfte des Einzelhandels mit einem horrenden Mietniveau.
Und nach 25 Jahren scheint nun doch der Zeitpunkt gekommen, daß die Herrin des Projekts, seit fünf Jahrene offiziell nicht mehr Leiterin, die Richtlinienkompetenz abgibt. Im Kollegium toben schon die Kämpfe um den zukünftigen Kurs der Schule. Das scharfe Profil, die „Pütz-Linie“, die strikte Orientierung auf den sozial sensiblen Künstler, den es immer in die „Therapie“ drängen wird — es wird sich ändern. Aber noch bewacht Rose Maria Pütz ihr Projekt — ihr Haus liegt fünf Meter neben den Ateliers; und wer ihre Vitalität und Präsenz kennengelernt hat, weiß, daß man in den kommenden konzeptionellen Gesprächen mit ihr zu rechnen hat. „Wenn ein Kunsttherapeut nicht weiter Künstler ist, wird er ein schlechter Therapeut. Denn ich laufe aus, werde leer, muß mich auffüllen. Ich muß produktiv bleiben. Andersherum hatte ich einen sehr begabten Studenten, er arbeitete nach dem Studium drei Jahre lang frei. Und ging dann in die Therapie. Die haben das ja in sich: hier kommen ganz bestimmte Leute her, die ein soziales Engagement haben. Ich mache seit 25 Jahren die Aufnahme, und wir haben das Berufsbild, für das ich autorisiert bin — ich habe für die Bundeanstalt für Arbeit das Berufsbild des Diplom-Kunsttherapeuten beschrieben. Da kann ich aufpassen! Es gibt nur noch eine Hochschule in Nürtingen, die das Diplon vergibt. Das sind Freunde von mir. Alles andere ist halber Kram.“ Burkhard Straßmann
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